Wir brauchten eine Sprache, um über Depression sprechen zu können
mit Francis Kaiser
A: Können Sie sich kurz vorstellen?
Francis Kaiser: Ich bin Illustratorin und mittlerweile auch Autorin von Kinderbüchern. Ursprünglich habe ich Kunst und Deutsch studiert fürs Lehramt. Ich bin Mutter von drei Kindern und mit der Geburt meiner dritten Tochter an Depressionen erkrankt. Seitdem konnte ich in meinem ursprünglichen Beruf nicht mehr arbeiten und bin dann aber über viele Jahre und viele Wege in der Illustration gelandet. Ich hatte das große Glück ein Kinderbuch illustrieren zu dürfen. Das war mein Einstieg. Mit „Wilmo“ habe ich jetzt mein zweites Buch herausgebracht, und das habe ich auch selber geschrieben.
A: War das Buch zu machen eine Art Bewältigungsstrategie? Das Buch handelt ja von Depressionen in der Familie.
Francis Kaiser: Dieses Buch ist über viele Jahre entstanden, schon als ich noch nicht wusste, dass ich Kinderbuchillustratorin werde. Dieses Buch ist eine Art Therapie. Ich habe das Zeichnen für mich als Ressource entdeckt. Ich habe mich mit der Situation in meiner Familie zeichnerisch auseinandergesetzt. Es sind erste Skizzen entstanden, ohne dass ich daraus ein Buch machen wollte, aber im Laufe der Zeit und im Gespräch mit anderen Patientinnen und Betroffenen ist klargeworden, dass ganz viele Leute sich gewünscht haben, dass ich daraus etwas mache, weil die Skizzen sie schon bewegt haben. Dann bin ich bei einem Verlag im Bereich Kinderbuch gelandet - da war es eigentlich klar, dass ich daraus etwas mache. Das Buch ist sehr realistisch. Ich habe einen sehr realistischen Weg gewählt, um die Depression zu zeigen, um allen Menschen einen ehrlichen Eindruck zu vermitteln, wie das ist.
A: Das Buch erzählt über die Familie und die Depression der Mutter, auch wie die Kinder darauf reagieren. Welche Rolle haben denn ihre Kinder dabei gespielt?
Francis Kaiser: Meine Kinder haben eine sehr aktive Rolle gespielt. Ich habe mich von Anfang an dazu entschieden, offen darüber zu sprechen und auch meinen Kindern zu erzählen, was mit mir los ist. Die waren dann auch am kreativen Prozess beteiligt. Wir brauchten eine Sprache, um darüber zu sprechen, was mit mir los ist. Wir haben darüber nachgedacht, wie wir das zeigen können. So sind die ersten Ideen und die ersten Zeichnungen entstanden, wie dieses Wesen in Mama aussehen kann, denn Mamas Depression wird eben durch das Wesen symbolisiert. Die ersten Zeichnungen haben meine Kinder gemacht, das war gar nicht mal meine Idee. Die Kinder waren immer ganz aktiv in diesen Prozess eingebunden eine Sprache und Bilder zu finden für die Depression. Diese ersten Skizzen des Wesens sind im Buch teilweise auch zu sehen, wenn man genau hinschaut.
A: Es war wichtig dem Ganzen einen Namen zu geben und es nicht als Feind zu bekämpfen, sondern als etwas, was man integrieren muss?
Francis Kaiser: Ja, aber natürlich altersentsprechend. Die ganz Kleine hat ein anderes Verständnis und andere Bilder dafür, aber genau das war das Ziel für meine eigenen Kinder und meine Familie eine Sprache zu finden, um uns über dieses total diffuse Thema unterhalten zu können.
A: Wie ist der Name Wilmo entstanden?
Francis Kaiser: Das ist tatsächlich eine spannende Frage, weil das Wesen bei uns zu Hause einen anderen Namen hat. Wir haben einfach gesagt, das ist unsere Geschichte und wir wollen einen Teil davon auch für uns behalten. Der Name Wilmo war ein Vorschlag aus dem Verlag, den wir auf Anhieb passend fanden. Ich fand den ganz charmant und habe ihn gerne aufgenommen.
A: Welche Unterstützung haben ihre Kinder noch gebraucht, um mit ihrer Erkrankung klarzukommen?
Francis Kaiser: Da habe ich großes Glück, dass mein Partner, der Vater der drei Kinder, eine große Stütze für die Kinder war und ist. Das ist eine Situation, die andere nicht haben. Was besonders wichtig war, meinen Kindern quasi zu erlauben, darüber zu sprechen. Das hört sich komisch an, aber es war am Anfang für sie nicht selbstverständlich, dass man darüber spricht. Wir haben aber gesagt, das ist wichtig. Nur dadurch hatten sie die Möglichkeit mit Erzieher*innen und Lehrer*innen, mit anderen Erwachsenen, aber auch mit Kindern zu sprechen. Natürlich war es auch wichtig auch Situationen zu haben, wo es gar nicht darum ging, aber sie konnten immer darüber sprechen. Das war sehr wichtig, damit die Leute Verständnis hatten, weil sie wussten, was los ist.
A: Was hat Ihnen persönlich geholfen?
Francis Kaiser: Dass es Menschen gegeben hat, die mich darauf aufmerksam gemacht haben, dass ich Hilfe brauche. Man weiß, es stimmt irgendwas nicht, aber es braucht seine Zeit, um das zu akzeptieren. Ganz klassisch habe ich meine Hausärztin aufgesucht. Ich war lange stationär in einer Klinik und habe auch Medikamente bekommen. Das habe ich erstmal verteufelt, bin aber mittlerweile froh, dass es sowas gibt zur Stabilisierung. Dieser Therapieprozess, der in Gang gesetzt wurde und der bis heute läuft, ärztliche und therapeutische Versorgung, war ganz wichtig.
Was uns auch geholfen hat in den ersten sehr schwierigen Jahren war eine Haushaltshilfe, die von der Krankenkasse bezahlt wurde, damit die Alltagsstruktur für die Kinder aufrechterhalten wurde. Und es war für mich gut, weil ich das Gefühl hatte, wenn das läuft, kann ich mich auf meine Gesundung konzentrieren.
A: Was bräuchte es ihrer Meinung nach, um Familien mit psychischen Erkrankungen besser zu unterstützen?
Francis Kaiser: In der Praxis ist es doch immer noch so, dass man Berührungsängste hat, wenn man hört, dass jemand eine psychische Erkrankung hat. Es ist immer noch wichtig, weiter aufzuklären, weiter in Schulen und Kindergärten zu gehen und zu sagen, das gibt es und das ist normal. Das ist die Grundlage. Dann ist es erstrebenswert, dass Familien lernen darüber zu sprechen, denn nur so kann man Hilfe bekommen. Man kann nur Hilfe bekommen, wenn man danach fragt, sich dafür öffnet. Das ist sehr wichtig. Außenstehende, Angehörige, Freunde, Erzieherinnen, pädagogisches Fachpersonal, das mit den Familien arbeitet, müssen auch viel mehr Bescheid wissen und Methoden und Ideen an die Hand bekommen, mit denen sie sich auch trauen auf die Familien zuzugehen. Das ist etwas, was bei uns gut geklappt hat, aber da gibt es ganz viel Potenzial.
A: Sie gehen jetzt mit ihrem Buch „Wilmo“ auf Leserreise?
Francis Kaiser: Ich halte bisher überwiegend Lesungen für Erwachsene, obwohl das ein Kinderbuch ist. Das hat den Grund: Das Buch ist keines, was man dem Kind in die Hand drückt und sagt: Hier lies mal. Es ist ein Buch, das man ganz behutsam einsetzen muss in einer passenden Situation und in einer ganz geschützten Atmosphäre lesen sollte. Deshalb bin ich momentan mit dem Buch für Erwachsene unterwegs, um betroffene oder interessierte Eltern oder Fachpersonal aufzuklären und zu sensibilisieren. Momentan bin ich mehr für Erwachsene unterwegs, aber es kommen im nächsten Jahr auch Lesungen für Schulen und Kitas, das ist gerade in Planung. Es ist präventiv wichtig mit Kindern zu sprechen, aber in einer anderen Art und Weise. Da bin ich gerade dabei das zu konzipieren.
A: Gibt es schon erste Resonanz auf das Buch?
Francis Kaiser: Ja, es gab schon bei den ersten Lesungen viel Resonanz. Da waren die Rückmeldungen überwiegend positiv und dankbar. Die Dankbarkeit, die ich erfahre, gibt mir als Person auch viel.
Francis Kaiser
Illustratorin und Autorin von Kinderbüchern. Foto: Michael Kaiser