Steckbrief „Elterliches suizidales Verhalten“

Suizidales Verhalten ist ein bedeutsames gesellschaftliches und gesundheitliches Problem, das nicht nur die betroffene Person selbst betrifft, sondern auch deren gesamtes soziales Umfeld. Besonders schwerwiegend sind die Folgen, wenn Eltern von suizidalen Gedanken, Krisen oder Handlungen betroffen sind. In diesen Fällen geraten nicht nur die Betroffenen in eine existentielle Notlage, sondern auch ihre Kinder, deren Sicherheitsgefühl, emotionale Stabilität und Entwicklung nachhaltig beeinträchtigt werden können. Elterliches suizidales Verhalten hat daher eine doppelte Tragweite: Es ist Ausdruck einer schweren psychischen Krise und stellt zugleich einen erheblichen Risikofaktor für die psychische Gesundheit der Kinder und Angehörigen dar. Elterliches suizidales Verhalten kann vor dem Hintergrund diverserer psychischer Erkrankungen auftreten. Am häufigsten leiden Betroffene unter schweren Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Bipolaren Störungen oder Schizophrenien. 

Vorkommen und Häufigkeit
Weltweit sterben nach Schätzungen der WHO jährlich über 700.000 Menschen durch Suizid (WHO, 2021). In Deutschland wird die Zahl der Suizidtodesfälle auf rund 10.000 pro Jahr geschätzt. Dabei ist die Dunkelziffer noch höher, da nicht alle Todesursachen eindeutig zugeordnet werden können. Bei den Todesfällen aufgrund von Suizid sind Männer mit 73% deutlich häufiger betroffen (Destatis, 2025). Suizidversuche sind um ein Vielfaches häufiger, man geht von etwa 100.000 Versuchen jährlich aus.
Elternschaft wirkt nicht zwingend protektiv. Studien zeigen, dass auch Mütter und Väter in suizidale Krisen geraten können. Belastungen durch Elternschaft, Partnerschaftskonflikte, finanzielle Probleme oder psychische Erkrankungen wirken hierbei als Risikofaktoren. Kinder von Eltern, die an einer psychischen Störung mit suizidaler Symptomatik leiden, haben ein deutlich erhöhtes Risiko für eigene psychische Störungen, einschließlich depressiver Erkrankungen, Angststörungen und suizidaler Krisen (Ortin-Peralta et al., 2023).
Das Suizidrisiko von Eltern hat somit eine besondere Relevanz für die öffentliche Gesundheit: Schätzungen zufolge sind in Deutschland jedes Jahr mehrere zehntausend Kinder durch einen elterlichen Suizid oder Suizidversuch direkt betroffen.

Ursachen
Die Entstehung elterlichen suizidalen Verhaltens ist multifaktoriell. Biologische, psychische und soziale Einflussfaktoren wirken zusammen. Zu den biologischen Risikofaktoren zählen genetische Vulnerabilitäten, neurobiologische Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt, der Einfluss von Stresshormonen sowie entzündliche Prozesse, die das Risiko einer Depression oder anderen schweren psychischen Erkrankung und damit auch suizidaler Krisen erhöhen können. Psychosoziale Faktoren spielen eine ebenso zentrale Rolle. Hierzu zählen Partnerschafts- und Familienkonflikte, Arbeitslosigkeit, soziale Isolation sowie migrationsbedingte Belastungen. Auch biografische Belastungen, wie erlebte Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit, erhöhen die Wahrscheinlichkeit suizidaler Krisen im Erwachsenenalter. Hinzu kommen lebensgeschichtliche Ereignisse: Verlusterfahrungen, Trennungen, chronische Erkrankungen oder schwerwiegende Belastungen in der Elternrolle können als „kritische Lebensereignisse“ suizidales Verhalten auslösen oder verstärken.

Auswirkungen auf Kinder
Wenn Eltern suizidal sind, hat dies unmittelbare und langfristige Folgen für ihre Kinder. Häufig reagieren Kinder mit Schuldgefühlen („Habe ich etwas falsch gemacht?“), Angst vor einem endgültigen Verlust sowie Scham im sozialen Umfeld. Wiederholte Krisen können zu einer Parentifizierung führen, bei der Kinder Verantwortung übernehmen, die eigentlich Erwachsenen obliegt. Studien zeigen, dass Kinder von Eltern mit Suizidversuchen ein signifikant erhöhtes Risiko haben, im Jugend- oder Erwachsenenalter selbst suizidale Krisen zu erleben (Ortin-Peralta et al., 2023). Zudem besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für Depressionen, Angststörungen und Verhaltensauffälligkeiten.

Symptomatik
Eltern mit suizidaler Symptomatik zeigen häufig Anzeichen einer psychischen Erkrankung, insbesondere Depressionen, Bipolare Störungen, Persönlichkeitsstörungen oder Schizophrenien. Suizidale Krisen und Suizidversuche sind häufig begleitet von Gefühlen von Hoffnungslosigkeit, Anspannung, innerer Leere oder auch intensiver Wut und Hass, starkem Grübeln und lebensüberdrüssigen Gedanken („es wäre besser, wenn ich nicht mehr da wäre“). In schweren Fällen können konkrete Handlungsideen und –pläne bestehen. Begleitend treten oft Rückzug, Reizbarkeit, Schuldgefühle oder Substanzmissbrauch auf. Die Symptomatik kann sich in der Elternrolle besonders deutlich zeigen: Überforderung in der Fürsorge, nachlassende emotionale Zuwendung oder das Gefühl, den Kindern eine „Belastung“ zu sein, sind häufig berichtete Gedanken. Die individuelle Symptomatik kann sich hierbei vor dem Hintergrund der jeweiligen Grunderkrankung unterschiedlich zeigen, z.B. sowohl in Rückzug, als auch in vermehrten interaktionellen Konflikten und Reizbarkeit. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, sich mit ihren Symptomen an ihr Umfeld zu wenden. Betroffene befürchten häufig abgelehnt zu werden, oder für ihre Suizidalität kritisiert und entwertet zu werden. Die Angst vor Ablehnung und Unverständnis ist einer der häufigsten Gründe, weshalb sich Betroffene keine zeitnahe Hilfe suchen.
 

Diagnostik
Bei Suizidgedanken und Suizidversuchen bedarf es einer ärztlichen und psychologischen Diagnostik. Hierbei erfolgt eine ausführliche biografische Anamnese, es werden verschiedene psychologische Testinstrumente eingesetzt und ggf. erfolgt eine Fremdanamnese durch Angehörige. Zudem werden in einer stationären Behandlung Vorbefunde und Arztbriefe angefordert und es findet eine somatische Ausschlussdiagnostik statt. Anhand der Informationen erfolgt eine psychologisch-psychiatrische Ersteinschätzung und ein psychopathologischer Befund wird erstellt. Da Suizidgedanken bei verschiedenen Erkrankungen auftreten können, ist eine differentialdiagnostische Abklärung unumgänglich. Für diese bedarf es auch eine Erfassung von Vorerkrankungen, Medikamenten, einer Familienanamnese, einer körperlichen Untersuchung, einer Blutabnahme und einem EKG. Bei Bedarf werden auch MRT-Untersuchungen vom Kopf durchgeführt.
Von besonderer Bedeutung ist die Einschätzung des Suizidrisikos, die eine offene Thematisierung von Suizidgedanken sowie die Abklärung konkreter Pläne, Mittel und Vorbereitungen beinhaltet. Auch die Rolle der Kinder sollte in der Diagnostik berücksichtigt werden, da sie für Betroffene sowohl als Belastungsfaktor wie auch als Schutzfaktor wirken können. Suizidalität ist bei Eltern oft tabuisiert, deshalb benötigt die Anamnese einen besonders sensiblen Umgang mit diesem Thema. 

Therapie
Die Behandlung elterlichen suizidalen Verhaltens erfolgt multimodal und erfordert eine möglichst frühzeitige Intervention. Im Vordergrund steht zunächst die Krisenintervention mit Sicherung des Lebens, ggf. auch durch stationäre Aufnahme (offen/ geschützt-geschlossen je nach Notwendigkeit).
Im weiteren Verlauf bilden Psychotherapie und Pharmakotherapie zentrale Säulen der Behandlung. Je nach Störungsbild werden leitliniengerechte Interventionen angeboten. Stationär erhalten Patient:innen ärztlich-psychologische Einzeltherapie, Bezugspflegegespräche, Sozialberatung und je nach Bedarf psychologische Gruppenbehandlung und Angebote aus der Spezialtherapie (Ergotherapie, Kunsttherapie, Arbeitstherapie, Bewegungstherapie). 
Ein besonderer Stellenwert kommt der Familienarbeit zu: Aufklärung und Einbeziehung von Kindern und Angehörigen können helfen, Ängste zu reduzieren und dysfunktionale Muster zu durchbrechen. Angebote wie Familiengespräche, psychoedukative Programme oder sozialpädagogische Unterstützung sind hier essenziell.

Prävention
Die Prävention elterlicher Suizidalität erfordert eine Enttabuisierung des Themas, eine bessere öffentliche Aufklärung sowie niederschwellige Hilfsangebote. Risikofamilien sollten frühzeitig identifiziert und unterstützt werden, insbesondere wenn psychische Erkrankungen, existenzielle Not oder soziale Isolation bestehen. Programme, die gezielt Kinder psychisch erkrankter Eltern stärken, können das Risiko langfristiger Folgen deutlich verringern.

Zahlen | Daten | Fakten
• In Deutschland sterben jährlich ca. 10.000 Menschen durch Suizid (Destatis, 2025).
• Auf jeden vollendeten Suizid kommen geschätzt 10–20 Suizidversuche.
• Rund 3–4 Angehörige sind pro Suizid direkt betroffen – darunter häufig Kinder.
• Kinder von Eltern mit Suizidversuchen haben ein signifikant erhöhtes Risiko, selbst psychische Störungen und suizidale Krisen zu entwickeln (Ortin-Peralta et al., 2023).

Canan Baskin

Leitende Psychologin, Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie), Leitung der Psychiatrischen Institutsambulanz und der Station für Traumafolgestörungen, Asklepios Klinikum Harburg

Quellenangaben

  • World Health Organization (2021): Suicide worldwide in 2019. Global Health Estimates. Geneva: WHO.
  • Destatis (2025): Todesursachenstatistik Deutschland. Abgerufen am 25.08.2025, verfügbar unter Todesursachen in Deutschland - Statistisches Bundesamt
  • Ortin-Peralta, A., Kerkelä, M., Veijola, J., Gissler, M., Sourander, A., Duarte, C.S. (2023). Parental suicide attempts and offspring mental health problems in childhood and adolescence. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 64(6), 886-894. doi: 10.1111/jcpp.13743.

     
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