Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Während eine hohe Selbstwertschätzung bis zu einem gewissen Ausmaß förderlich und stabilisierend wirken kann, handelt es sich bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung um ein Störungsbild, das mit einem übermäßig erhöhten Selbstkonzept und häufig mit ausgeprägten interpersonellen Schwierigkeiten, eskalierenden Beziehungsproblemen sowie mit Leidensdruck - insbesondere auch auf Seiten des familiären und sozialen Umfeldes - einhergeht.

STÖRUNGSBEGRIFF

Der Begriff „Narzissmus“ nimmt Bezug auf die aus der griechischen Mythologie stammende Geschichte über den Jüngling Narziss, welcher sich – im Rahmen einer Bestrafung zu unstillbarer Selbstliebe verdammt - in sein Spiegelbild verliebt und von diesem nicht mehr ablassen kann. Während der Begriff „Narzissmus“ im späten 19. Jahrhundert zunächst in der Sexualwissenschaft angewendet wurde, wurde er im frühen 20. Jahrhundert in die Psychoanalyse eingeführt und im weiteren Verlauf im Kontext verschiedener psychologischer Perspektiven diskutiert und entwickelt.

Das Konzept einer „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ entwickelte sich in den siebziger Jahren und bildete die Grundlage für das 1980 in das amerikanische Diagnostic and Statistical Manual (DSM-III) aufgenommene, klinisch zu diagnostizierende Störungsbild, das – etwas untergeordnet – sein Korrelat auch in der in Deutschland aktuell noch gebräuchlichen Diagnoseklassifikation ICD 10 (International Classification of Diseases) findet. Hier wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung allerdings nicht als eigenständige Diagnose aufgeführt, sondern unter den „Sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen“ (F60.8) eingeordnet.

Mit der auch in Deutschland mittelfristig inkraft tretenden Neufassung der geltenden Diagnoseklassifikation (Übergang von ICD-10 zu ICD-11) wird das kategorielle Konzept der Persönlichkeitsstörungen insgesamt abgeschafft und durch einen dimensionalen diagnostischen Ansatz ersetzt, welcher Funktionsbeeinträchtigungen, Schweregrade und ergänzend prominente Persönlichkeitsmerkmale beschreibt.

Entsprechend wird die Diagnose der „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ in der ICD-11 nicht mehr vorkommen. Stattdessen werden Funktionseinschränkungen, beispielsweise in den Bereichen Identität und Beziehungsgestaltung sowie Auffälligkeiten in den Persönlichkeitsmerkmalen - wie etwa negative Affektivität/Selbstwertgefühl, Dissozialität/Empathiemangel und Enthemmung /Impulsivität - beschrieben.

VORKOMMEN UND HÄUFIGKEIT

Untersuchungen zur Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung (Häufigkeit einer Krankheit in einer Bevölkerung) liefern sehr uneinheitliche Ergebnisse, geschätzt wird eine Prävalenz von etwa 1 %. Bei psychiatrischen Patienten liegt die Prävalenz etwas höher. Vor dem Hintergrund der aktuell genutzten Diagnosekriterien sind Männer etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen, wobei dieses angesichts nicht erfasster Subtypen sowie möglicher geschlechtsspezifischer diagnostischer Verzerrung hinterfragt werden kann. Betroffene Patienten suchen therapeutische Hilfe meist nicht aufgrund des narzisstischen Symptombildes, sondern aufgrund von Sekundärerkrankungen oder -krisen. Dabei finden sich signifikante Komorbiditäten mit fast allen anderen Persönlichkeitsstörungen, auch findet man die Diagnose vermehrt in Verbindung mit Suchterkrankungen, Angsterkrankungen und affektiven Störungen.

URSACHEN

Bei der Entstehung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung wird ein „multifaktorielles“ Geschehen vermutet, an dem neurobiologische sowie psychosoziale Aspekte beteiligt sind. Hinsichtlich biologischer Faktoren ergaben Zwillingsstudien eine hohe genetische Komponente. Einzelne Studien geben darüber hinaus Hinweise auf hirnmorphologische Auffälligkeiten in für das Erleben von Empathie notwendigen Hirnarealen. Als psychosoziale Aspekte werden u.a. frühe Erfahrungen von Empathiemangel, Vernachlässigung, Invalidierung sowie eine an Leistung geknüpfte, also nicht bedingungslose Zuwendung durch primäre Beziehungspersonen angenommen, welche zu einem instabilen Selbstwertgefühl führen. Vor diesem Hintergrund wird die narzisstische Störung als ein Versuch der kompensatorischen Selbstwertregulation verstanden.

SYMPTOMATIK

Angesichts eines erheblich instabilen und brüchigen Selbst, welches durch Scham, Einsamkeit, Angst und Verletzlichkeit geprägt ist, suchen Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung permanent Selbstwertstabilisierung, Anerkennung und Aufmerksamkeit. Entsprechend kommt es zu übertriebener und realitätsverzerrender Selbstdarstellung, offenem oder verdeckten Grandiositäts- und Einzigartigkeitserleben, der Überbewertung eigener Kompetenzen sowie einem starken Verlangen nach Bewunderung. Auch zeigen sich eine ausgeprägte Anspruchshaltung und Größenphantasien, z.B. bezüglich grenzenlosen Erfolgs oder idealer Liebe.

Interaktionell besteht eine Neigung, sich über andere zu stellen, das Gegenüber zu dominieren, zu entwerten und Kontrolle zu gewinnen bei gleichzeitig fehlender Empathie. Entsprechend ist die Beziehungsgestaltung, in zum Teil ausbeuterischer Weise, auf persönlichen Gewinn ausgerichtet, auch werden Überlegenheit und Unabhängigkeit betont. Es besteht eine erhöhte Kränkbarkeit. Kritik oder Mißerfolge können Abwertung und Aggression auslösen. Auf das soziale Umfeld und dabei insbesondere auch die Kinder der Betroffenen kann sich dieses Verhalten negativ auswirken. Häufige Entwertungen sowie Konflikte, die aus der erhöhten Kränkbarkeit der Patienten resultieren, begünstigen die Entwicklung eines negativen Selbstkonzepts sowie Schwierigkeiten in der Emotionsregulation und in den interaktionellen Fähigkeiten.

Meist werden die narzisstischen Eigenschaften vom Betroffenen als zu sich selbst gehörend („ich-synton“) erlebt, so dass aus ihnen resultierende Schwierigkeiten ursächlich im Außen verortet werden.

Zentrale Emotionen im Rahmen des Störungsbildes sind desweiteren Ärger, Wut, Neid, aber auch Scham. Auch werden Gefühle der inneren Leere und Langeweile beklagt. Es kann zu erheblichen emotionalen Schwankungen und zu ernstzunehmenden suizidalen Krisen kommen.

DIAGNOSTIK

Die Betroffenen stellen sich häufig zunächst nicht aufgrund der im Kontakt deutlich werdenden narzisstischen Persönlichkeitsaspekte vor, sondern aufgrund bestehender Komorbiditäten oder Krisen. Die Diagnose der Störung wird „klinisch“ gestellt. Das bedeutet, dass anhand der anamnestischen Angaben der Patienten, ggf. der fremdanamnestischen Auskünfte des Umfeldes und der Beobachtung des Arztes unter Einbeziehung des interaktionellen Erlebens sowie gezielter Explorationsfragen ein sogenannter „psychopathologischer Befund“ erstellt wird. Hinsichtlich der narzisstischen Persönlichkeitsstörung stellen desweiteren operationalisierte Fragebögen unterstützende diagnostische Instrumente dar, um narzisstische Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen.

Für die Diagnosestellung nach ICD-11 müssen die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllt werden (Probleme in der Funktionsweise von Aspekten des Selbst und/oder zwischenmenschliche Störungen, manifestiert in kognitiven Mustern, emotionalem Erleben, emotionalem Ausdruck und Verhalten; mindestens zwei Jahre; verschiedene Schweregrade). Darüberhinaus werden prominente Persönlichkeitsmerkmale beschrieben wie etwa extrem schwankendes Selbstwertgefühl, extremer Selbstbezug und ein fehlendes Mitgefühl für andere.

Im Rahmen der Diagnostik erfolgt eine differentialdiagnostische Abgrenzung von anderen psychischen Erkrankungen mit in Teilen vergleichbarer Symptomatik, gleichsam ist die hohe psychische Komorbidität (andere Persönlichkeitsstörungen, affektive Störungen, Angsterkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen) zu erfassen.

THERAPIE

Die Therapie hat häufig zunächst kriseninterventionellen Charakter, wenn sich die Betroffenen angesichts akuter Krisen wie etwa Trennungen oder beruflicher Probleme und damit verbundenem Kränkungserleben vorstellen. Kann sich der Betroffene auf eine weiterführende psychotherapeutische Behandlung einlassen, können verschiedene Methoden, u.a. aus der Schema- sowie der Interaktionellen Therapie hilfreich sein. Dabei kommt der Beziehungsgestaltung eine besondere Bedeutung zu, und die therapeutische Behandlung kann sich aufgrund der störungsspezifischen Persönlichkeitseigenschaften als besonders herausfordernd darstellen. Als weitere Behandlungsaspekte kommen u.a. Psychoedukation, Soziales Kompetenztraining und Empathietraining zum Einsatz.

Brit-Meike Fischer-Pinz

Fachärztin für Psychiatrie und -psychotherapie. Leitung des erwachsenenpsychiatrischen Teils der „Therapiestation für Kinder (0 bis 6 Jahre) und ihre Eltern“ in der Asklepios Klinik Harburg.

Quellenangaben

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W. Vanden: Wie man mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung umgeht, Revolu 2023

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