Es geht nicht darum den Inhaftierten eine gute Zeit zu machen, sondern um die Kinder
A: Was macht genau die Landesfachstelle Kinder Inhaftierter?
Lisa Lewin: Sie hat verschiedene Arbeitsschwerpunkte. Einmal geht es um Fortbildung und Sensibilisierung, das heißt, wir bieten für Fachkräfte Fortbildungen zum Thema Kinder Inhaftierter an. Und wir beraten betroffene Familien, Angehörige und Inhaftierte. Wir versuchen auch neue Angebote zu schaffen und die Strukturen zu verändern.
Fiona Reinke: Es geht konkret darum, spezialisierte Angebote für die Zielgruppe zu entwickeln mit anderen Trägern. Wir wollen den Strafvollzug familienorientierter machen und Justiz und Jugendhilfe besser vernetzen, damit es Angebote für Familien gibt.
A: Das ist wohl eine große Herausforderung?
Fiona Reinke: Wir müssen feststellen, dass Hamburg im Vergleich mit anderen Bundesländern schlecht aufgestellt ist. Es gibt nur ganz wenig Angebote. Es gibt vereinzelt Vater-Kind-Gruppen in einigen Haftanstalten und Erziehungskompetenztraining, die der Fürsorgeverein, ein Träger der Straffälligenhilfe gemeinsam mit der JVA durchführt. Der Hamburger Fürsorgeverein bietet zudem z.B. eine Angehörigenberatung an, die von Ehrenamtlichen durchgeführt wird.
A: Sie sind jetzt dabei neue Angebote zu schaffen?
Fiona Reinke: Genau, wir haben viel mit Angehörigen gesprochen, waren viel in Haftanstalten und haben geschaut, was es bräuchte. Jetzt geht es darum Angebote zu entwickeln. Diese Vater-Kind-Gruppen sind super, aber die müssen weiter ausgebaut werden. Das machen wir gemeinsam mit dem Fürsorgeverein. Wir wollen auch weitere Erziehungskompetenztrainings anbieten und Angebote für Angehörige entwickeln, so etwas wie eine Gesprächsgruppe für Mütter oder eine Gruppe für Kinder. Da sind wir noch im Aufbau und schauen, welche Träger das machen könnten und wie man das finanzieren könnte.
A: Was bedeutet es für die Kinder, wenn ein Elternteil in Haft ist?
Fiona Reinke: Erstmal ist das Thema tabuisiert. Die Kinder wissen meist nicht, wo der Vater ist, da wird oft nicht die Wahrheit gesagt. Dann erleben die Kinder eine plötzliche Trennung von dem Elternteil. Das ist für die Kinder eine enorme Belastung, dass ein Elternteil von heute auf morgen weg ist und der andere Elternteil plötzlich alleinerziehend ist. Es ist ein Gehalt weg, möglicherweise muss die Wohnung verlassen werden. Das ist eine enorme Belastung für die Kinder. Ich erlebe vor allem Trennungsängste bei den Kindern, Angst, dass der verbleibende Elternteil auch noch weg geht.
A: Wie kann man den Kindern helfen mit den inhaftierten Eltern in Kontakt zu bleiben?
Anna Lewin: Sowohl Kinder als Eltern haben ein Recht auf Kontakt. Es geht nicht darum dem Inhaftierten eine gute Zeit zu machen, sondern darum, was für die Kinder gut ist. Es ist wichtig mit den Kindern zu sprechen, damit sie das gut verstehen können. Was für die Kinder gut ist, sollte entscheidend sein. Bei schwerwiegenden Straftaten ist das oft so: Vater weg - Akte zu. Ich denke an einen Inhaftierten, der eine Suchtproblematik hat. Er hat uns angesprochen, dass wir Kontakt zu dem Jugendamt aufnehmen, weil er nicht weiß, wo seine Kinder sind. Er möchte gerne seinen Kindern erklären, dass seine Sucht eine Krankheit ist und dass sie nicht Schuld daran sind. Der Kontakt ist immer im Sinne des Kindeswohl zu gestalten.
A: Haben Kinder von Inhaftierten ein größeres Risiko psychisch zu erkranken?
Reinke: Es gibt eine COPING-Studie, die herausgearbeitet hat, dass die Kinder von Inhaftierten ein größeres Risiko haben, selber psychisch zu erkranken, wie Angststörungen und Depressionen zu entwickeln, aber auch straffällig zu werden.
A: Wie wirkt sich die Belastung der Eltern auf die Kinder aus?
Lisa Lewin: Die Mütter sind extrem belastet, darunter leiden die Kinder auch. Die Mütter sind sehr allein, isolieren sich oft. Ein großes Problem ist, dass sie den Kindern gegenüber nicht die Wahrheit sagen. Die Kinder spüren das natürlich, dass der Vater nicht „auf Montage“ ist. Die Kinder wissen, dass es was anderes ist. Wenn sie den Vater besuchen, da sind Sicherheitsmaßnahmen, wie ist Stacheldraht etc. Dann wird ihnen aber gesagt, der Papa arbeitet am Flughafen. Das sind Lügen, die die Kinder spüren. Manche spielen auch einfach nur mit. Sie erleben aber einen Vertrauensverlust, können mit der Mutter nicht offen sprechen. Die Mütter machen das mit einer guten Absicht, sie wollen ihre Kinder vor der Wahrheit schützen, merken aber nicht, dass den Kindern ein offener Umgang und Austausch helfen würde. Man kann das Verstehen, dass sie Angst haben, dass die Kinder ausgegrenzt werden, wenn sie in der Schule erzählen, dass der Papa in Haft ist.
A: Was empfehlen Sie denn den Angehörigen, was sie den Kindern sagen sollen? Dass der Papa im Gefängnis sitzt?
Reinke: Wir empfehlen natürlich immer den Kindern die Wahrheit zu sagen, kindgerecht, z.B. „Der Papa hat einen Fehler gemacht und sitzt deswegen im Gefängnis“. Da gibt es auch Literatur, in der die Welt in Haft kindgerecht gezeigt wird. Am Ende entscheiden die Eltern. Wir beraten dahingehend, dass sie mit den Kindern ehrlich sind. Alles andere wird langfristig nicht funktionieren. Irgendwann wird sich vermutlich das Kind distanzieren, weil es jahrelang angelogen worden ist.
A: Welche Angebote gibt es für Kinder von Inhaftierten?
Lisa Lewin: Das schönste Angebot für die Kinder sind die Vater-Kind-Gruppen. Da können sie zwei Stunden zusammenspielen. Es können aber nicht alle Väter teilnehmen. Es gibt in einer Gruppe nur 12 Plätze, die zweimal im Monat zusammenkommt. Das ist dann aber eine richtig freie Zeit für die Kinder und Väter. Da können sie Rumtoben und Tischtennis spielen. Das gibt es in Fuhlsbüttel, in der U-Haft und auch in Billwerder, aber es sind viel zu wenig Plätze. Es gibt eine enorme Warteliste. Mit 13 Jahren hört die Gruppe für die Kinder auf, was sehr schade ist. Dann bleibt nur noch der Regelbesuch. Im besten Fall gibt es einen begleitenden Umgang, das kommt aber nur sehr selten vor. Da hat das Jugendamt noch große Hemmungen, glaube ich, und es gibt viel Unwissen über das, was in Haft möglich ist. Dabei ist es ganz unkompliziert einen Termin mit einem Inhaftierten zu vereinbaren.
A: Welche Probleme treten dabei auf?
Jugendhilfe und Justiz zusammenzubringen ist sehr schwierig, die sprechen einfach nicht miteinander. Die Jugendamtsmitarbeiter gehen auch selten in Haftanstalten, ich habe bisher nur eine Mitarbeiterin erlebt, die in eine Haftanstalt gegangen und mit einem Vater gesprochen hat. Eltern und Kinder haben aber ein Recht auf Kontakt.
A: Wie läuft denn so ein Besuch in der Haftanstalt ab?
Fiona Reinke: Die Inhaftierten haben eine Stunde im Monat ein Recht auf Besuch. Die Besuche finden in einem Raum statt. Es ist ein Riesenraum, wo alle Straftäter Besuch von Freunden und Angehörigen empfangen. Für die Kinder gibt’s auch so ein paar Spielsachen. Dann kann von den Inhaftierten auch Langzeitbesuch beantragt werden. Unter bestimmte Voraussetzungen dürfen sie mehrere Stunden in einer Art Appartement auch mit den Kindern verbringen.
Es gibt Auflagen und Statute, es muss alles beantragt werden, die Inhaftierten in der U-Haft dürfen oft keinen Besuch empfangen. Das ist alles sehr schwierig. Ich selbst fand es im Untersuchungsgefängnis sehr unangenehm Auch wenn die Justizvollzugsbeamten nett sind, aber da sitzt man dann vor einer Spiegelwand, die Familienmitglieder dürfen sich nicht anfassen. Das ist schon echt gruselig.
A: Jetzt haben wir über die Väter in Haft gesprochen. Wie sieht das denn mit Müttern in Haft aus?
Fiona Reinke: In Billwerder gibt es die Teilhaftanstalt Frauen, das Frauengefängnis. Gesetzlich ist es so, dass Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren mit der Mutter untergebracht werden können in einer Mutter-Kind-Abteilung. Das wird hier aber nicht angeboten. Dafür ist die Haftanstalt in Billwerder nicht geeignet. Es gibt keine Angebote für Frauen, auch nicht so etwas wie eine Mutter-Kind-Gruppe.
A: Warum gibt es keine Angebote für Mütter?
Lisa Lewin: Das hat damit zu tun, dass die Kinder ganz oft fremd untergebracht sind. Die sind überall in Deutschland verteilt oder ganz oft im Ausland, meist Osteuropa. Wir haben schon überlegt, ob man einmal im Monat eine Gruppe für Mütter einrichtet, haben aber die Rückmeldung bekommen, dass die Kinder der meisten Mütter nicht in Hamburg leben. Ganz viele Mütter aus Osteuropa sitzen hier wegen Diebstahldelikten im Gefängnis, weil sie hier quasi zu Besuch waren und die Familien im Ausland leben.
A: Was passiert mit Schwangeren, die in Haft müssen?
Lisa Lewin: Bei Clans im Ausland ist der Glaube verbreitet, dass straffällige Schwangere in Deutschland nicht inhaftiert werden. So ist das aber nicht. Daher werden viele Schwangere zum Stehlen hierhergeschickt. Daher kommen recht häufig schwangere Frauen in Haft. Nach der Geburt werden die Kinder dann in Obhut gegeben, da es an geeigneten Plätzen für Mütter mit Kindern in der Haft fehlt. Die Haftanstalten versuchen das im Rahmen der Möglichkeiten zu tun, aber die Ressourcen sind sehr begrenzt. In Vechta und in Frankfurt gibt es sehr guten Frauenvollzug mit Mutter-Kind-Einrichtungen, es sind aber wenig Plätze.
A: Können Babys bei ihren inhaftierten Müttern bleiben?
Fiona Reinke: Die Haftanstalt ist keine Einrichtung der Jugendhilfe, das heißt, die Mitarbeiter dürfen nicht mit den Kindern arbeiten. Wenn z.B. in einem Notfall die Frau zum Arzt müsste, müsste das Kind sofort in Obhut genommen werden. Auch die Räumlichkeiten sind für Kinder ungeeignet. Frauen aller Straftaten sind zusammen in einem Flur untergebracht. Die Türen stehen offen, es gibt keine Gemeinschaftsräume.
In Billwerder gibt es gibt drei oder vier Doppelzellen, die werden im Notfall dafür genutzt, das junge Mütter nach der Entbindung dort quasi im Wochenbett bleiben können bis in einem anderen Frauengefängnis ein geeigneter Platz frei wird. Ich kann mir aber nicht vorstellen in einem solchen Raum mit einem Baby zu sein. Wenn das Kind schreit und die Tür ist zu – das birgt auch viele Gefahren für Mutter und Kind. In einer so emotionalen Zeit wie dem Wochenbett kann man sie da nicht alleine lassen.
A: Sind viele der inhaftierten Eltern psychisch krank?
Reinke: Wir fragen nicht die Diagnosen ab, aber wir gehen davon aus, dass viele eine psychische Erkrankung haben. Das ist in den Beratungen aber nicht explizit Thema. Auch bei den Müttern, sind viele häufig psychisch belastet, überfordert oder depressiv. Wir fragen das nicht ab, erleben sie aber als extrem belastet. Wir haben bisher keine Patienten aus dem Maßregelvollzug, wo die psychisch kranken Straftäter untergebracht sind. Menschen aus dem Maßregelvollzug können sich aber bei uns melden und wir beraten sie.
A: Gibt es Beratungsmöglichkeiten für die Angehörigen?
Lewin: Ja, das leisten wir. Wir versuchen Strukturen, die es schon gibt, wie Erziehungsberatungsstellen, zu sensibilisieren. Wenn Anfragen aus der Haft kommen, läuft das über uns. Wir haben aber auch eine Lotsenfunktion. Zum Thema Haft sind wir die erste Anlaufstelle. Es gibt noch nicht viele Angebote für die Kinder. Daher auch unsere Motivation etwas mit Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Es ist nur eine kleine Gruppe an Kindern, mit denen wir in Kontakt kommen. Dafür, dass es 1200 Minderjährige von der Haft eines Elternteils betroffen sind, ist es überraschend, wie wenig die Kinder zu sehen sind. Man muss diese Kinder erstmal finden, weil das Thema tabuisiert wird. Daher hoffen wir, dass es bald mehr Angebote für Kinder gibt. Es ist eine Herausforderung, wie in anderen Bundesländern bereits üblich, richtige Familienprojekte anzubieten.
Fiona Reinke
(Soziologin, Kriminologin) - Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten
Lisa Lewin
(Sozialpädagogin, Kriminologin) - Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten