Zwangsstörungen

Psychische Erkrankungen kurz erklärt

Während Zwangsrituale in bestimmten kindlichen Entwicklungsphasen eine sinnvolle und wichtige Funktion haben und auch im Erwachsenenalter häufig auftreten, ohne krankheitswertig zu sein, ist das psychiatrische Krankheitsbild der Zwangsstörung mit einem hohen Leidensdruck verbunden und kann zu ausgeprägten Defiziten in der Alltagsbewältigungsfähigkeit, der Arbeitsfähigkeit und der sozialen Interaktionsfähigkeit der Betroffenen führen. Nicht selten wird das familiäre Umfeld in die Symptomatik einbezogen, so dass die Erkrankung sowohl für den Betroffenen als auch für sein soziales Umfeld mit hoher Anspannung verbunden ist und sehr blockierend wirken kann.

Vorkommen und Häufigkeit

Die Lebenszeitprävalenz (Risiko, im Laufe des Lebens an einer Zwangsstörung zu erkranken) für die voll ausgeprägte Zwangsstörung liegt kulturübergreifend bei 1 – 3 %. Die Ein-Jahresprävalenz (Risiko, innerhalb eines Jahres an einer Zwangsstörung zu erkranken) von Zwangsstörungen liegt für Deutschland zwischen 3 und 4 %. Das mittlere Ersterkrankungsalter wird mit etwa 20 Jahren angegeben, wobei Männer etwas früher betroffen sind und in 25 % der Fälle einen Beginn vor dem 10. Lebensjahr zeigen. Hinsichtlich der Geschlechterverteilung sind während der Kindheit mehr männliche als weibliche Personen betroffen, während es im frühen Erwachsenenalter zu einer Angleichung kommt und später die Frauen überwiegen. Insgesamt scheint die Prävalenz für Frauen etwas höher zu liegen. Bei Zwangsstörungen besteht ein sehr hohes Risiko für eine gleichzeitige Erkrankung („Komorbidität“) an anderen psychischen Störungen, insbesondere an Depressionen und pathologischen Ängsten.

Ursachen

Bei der Entstehung von Zwangsstörungen wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen, bei dem genetische, neurobiologische, entwicklungspsychologische und psychosoziale Faktoren interagieren. Beim Auftreten von Zwangsstörungen zeigen sich deutliche familiäre Häufungen. Neurobiologische Untersuchungen geben Hinweise auf hirnstrukturelle und -funktionelle Veränderungen. Des weiteren werden lerntheoretische und kognitionspsychologische Entstehungsmodelle diskutiert.

Symptome 

Bei einer Zwangsstörung kommt es zu sich aufdrängenden, sehr unangenehmen Gedanken, Ideen und Handlungsimpulsen (Zwangsgedanken) und zu ritualisierten Handlungen, mit denen das unangenehme Erleben abgewehrt werden soll (Zwangshandlungen). Typische Inhalte von Zwangsgedanken betreffen u. a. Ansteckung, Vergiftung, Ordnung, Verschmutzung, Religion und Aggression. Die Zwangsgedanken werden als belastend erlebt, können aber nicht unterdrückt werden. Zu einer Umsetzung z. B. aggressiver Gedankeninhalte kommt es nicht.

Bei den Zwangshandlungen kommt es u. a. zu Wasch-, Reinigungs- und Putzzwängen sowie zu Kontroll- und Ordnungszwängen. Zwangshandlungen zielen auf eine Entlastung der aufgebauten Anspannung, zu der es aber nur eingeschränkt und kurzfristig kommt. Auch können Zwangshandlungen mit hohem zeitlichen Aufwand verbunden sein und damit die Alltagsbewältigungsfähigkeit sowie die Leistungsfähigkeit, das Interaktionsverhalten und das soziale Leben der Betroffenen stark einschränken. Obwohl eine grundsätzliche Einsicht in die Unsinnigkeit der Handlungen vorhanden ist, können sie nicht unterlassen werden, und der Versuch sie zu unterlassen führt zu einem als unerträglich erlebten Anstieg von Anspannung. Definitionsgemäß kommen die Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen vor und werden als eigene Gedanken bzw. Handlungen erlebt, also nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben.

Diagnostik 

Die Diagnose einer Zwangserkrankung wird klinisch gestellt und anhand der anamnestischen Angaben des Patienten, ggf. der fremdanamnestischen Auskünfte der Angehörigen und der Beobachtung des Arztes unter Einbeziehung gezielter Explorationsfragen ein sogenannter „Psychopathologischer Befund“ erstellt. Exkurs: Pathologisches Horten und Messie-Syndrom Menschen, die an pathologischem Horten leiden, haben den unwiderstehlichen Drang, große Mengen an Gegenständen zu sammeln und sich anschließend nicht mehr von diesen zu trennen. Häufig werden Dinge von geringem objektivem Wert oder praktischen Nutzen wie alte Zeitschriften, abgetragene Kleidungsstücke, defekte Elektrogeräte und Dekoartikel oder Verpackungen gehortet. Dies kann dazu führen, dass Räume völlig unzugänglich werden oder nur noch über kleine Durchgänge passierbar sind. Die Erkrankung bringt starke Einschränkungen der Lebensqualität mit sich und belastet in der Regel auch andere Haushaltsmitglieder. Außerdem führen die Symptome zu einer erheblichen Belastung oder Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Im ICD-11 wird pathologisches Horten als zwangsverwandte Störung betrachtet (6B24), während es im aktuellen ICD-10 noch den Zwangsstörungen zugerechnet wird. Umgangssprachlich wird pathologisches Horten oft auch mit dem „Messie-Syndrom“ (von „mess“, engl: Chaos, Unordnung) gleichgesetzt. Unter dem Messie-Syndrom versteht man jedoch genau genommen allgemeine Schwierigkeiten der Selbstorganisation, die sich in der Regel nicht nur auf die häusliche Ordnung beziehen: Auch das Einhalten von Terminen, die soziale Einbindung sowie das Umsetzen von Handlungsplänen im Allgemeinen sind hierbei beeinträchtigt. Menschen mit pathologischem Horten können hingegen nicht selten in vielen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Freizeitgestaltung, Sozialleben) auf hohem Funktionsniveau leben und erleben die Schwierigkeiten vorrangig in den eigenen vier Wänden. Dafür neigen Messies wiederum seltener zu exzessivem Kaufverhalten als Menschen mit pathologischem Horten. 

Ergänzend kommen spezielle Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung sowie strukturierte Interviews zum Einsatz. Hinsichtlich der Diagnostik muss beachtet werden, dass Betroffene die Störung häufig lange verleugnen oder verharmlosen und dass sie im Erleben der Patienten sehr schamhaft besetzt sein kann. Differentialdiagnostisch muss genau geprüft werden, ob die vorliegenden Symptome zu einer Zwangsstörung oder ggf. zu einem anderen psychiatrischen Krankheitsbild (z. B. Schizophrenie, Depression) gehören. Auch sollten organische Ursachen mittels körperlicher Untersuchungen ausgeschlossen werden. Insbesondere bei später Erstmanifestation einer Zwangsstörung (Ersterkrankungsalter über 50 Jahre) sollte eine MRT-Untersuchung erfolgen, um mögliche hirnorganische Abbauprozesse zu erfassen. 

Therapie

Bei der Therapie der Zwangsstörung kommen psychotherapeutische Verfahren zum Einsatz, eine besondere Bedeutung kommt dabei der kognitiven Verhaltenstherapie zu. Ergänzend kann eine medikamentöse Therapie erfolgen, insbesondere mit sog. selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI). Die therapeutische Behandlung erfolgt überwiegend ambulant. Je nach Schwere und Verlauf der Erkrankung kann eine teilstationäre oder stationäre Therapie sinnvoll sein, insbesondere auf einer spezialisierten Station.

Brit-Meike Fischer-Pinz

Fachärztin für Psychiatrie und -psychotherapie. Leitung des erwachsenenpsychiatrischen Teils der „Therapiestation für Kinder (0 bis 6 Jahre) und ihre Eltern“ in der Asklepios Klinik Harburg.

Verweise

Exkurs: Pathologisches Horten und Messie-Syndrom

Menschen, die an pathologischem Horten leiden, haben den unwiderstehlichen Drang, große Mengen an Gegenständen zu sammeln und sich anschließend nicht mehr von diesen zu trennen. Häufig werden Dinge von geringem objektivem Wert oder praktischen Nutzen wie alte Zeitschriften, abgetragene Kleidungsstücke, defekte Elektrogeräte und Dekoartikel oder Verpackungen gehortet. Dies kann dazu führen, dass Räume völlig unzugänglich werden oder nur noch über kleine Durchgänge passierbar sind. Die Erkrankung bringt starke Einschränkungen der Lebensqualität mit sich und belastet in der Regel auch andere Haushaltsmitglieder. Außerdem führen die Symptome zu einer erheblichen Belastung oder Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Im ICD-11 wird pathologisches Horten als zwangsverwandte Störung betrachtet (6B24), während es im aktuellen ICD-10 noch den Zwangsstörungen zugerechnet wird. Umgangssprachlich wird pathologisches Horten oft auch mit dem „Messie-Syndrom“ (von „mess“, engl: Chaos, Unordnung) gleichgesetzt. Unter dem Messie-Syndrom versteht man jedoch genau genommen allgemeine Schwierigkeiten der Selbstorganisation, die sich in der Regel nicht nur auf die häusliche Ordnung beziehen: Auch das Einhalten von Terminen, die soziale Einbindung sowie das Umsetzen von Handlungsplänen im Allgemeinen sind hierbei beeinträchtigt. Menschen mit pathologischem Horten können hingegen nicht selten in vielen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Freizeitgestaltung, Sozialleben) auf hohem Funktionsniveau leben und erleben die Schwierigkeiten vorrangig in den eigenen vier Wänden. Dafür neigen Messies wiederum seltener zu exzessivem Kaufverhalten als Menschen mit pathologischem Horten.

Quelle: 
Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen e.V., Zugriff vom 7.8.2023, zitiert nach “Pathologisches Horten” - Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. (zwaenge.de)

Quellenangaben

  • Benkert, O., Hippius, H. (2013): Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer, 9. Auflage. 
  • Hoffmann, N., Hoffmann, B. (2018): Expositionszentrierte Verhaltenstherapie bei Ängsten und Zwängen, Beltz, 4. überarbeitete Auflage.
  • Hoffmann, N., Hoffmann, B. (2021): Wenn Zwänge das Leben einengen, Springer, 16. Auflage.
  • Kordon, A., Wahl, K, Hohagen, F. (2012): Zwangsstörungen, S.555 – 573. IN: Berger, M. (Hrsg.): Psychische Erkrankungen Klinik und Therapie, Urban & Fischer, 4. Auflage. 
  • Reinecker, H. (2009): Zwangshandlungen und Zwangsgedanken, Fortschritte der Psychotherapie Band 38, Hogrefe. 
  • Voderholzer, U. (2022) et al.: S3-Leitlinie Zwangsstörungen Erste Revision im Juni 2022. Voderholzer, U.
  • Hohagen, F. (2023): Zwangsstörungen, S. 357 – 376. IN: dgppn/U. Voderholzer: Therapie psychischer Erkrankungen State of the art, Urban & Fischer, 18. Auflage. 
  • www.zwaenge.de
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