Väter, Depression und Familie – Bewältigungswege von Männern
Es scheint, dass Depression bei Männern bzw. Vätern anders verstanden werden muss, als bei Frauen bzw. Müttern und eine genderspezifische Betrachtung lohnenswert ist. Wenn man sich mit den Bewältigungsstrategien von Vätern befasst, wird deutlich, dass die Literatur bisher eher von Eltern oder explizit von Müttern spricht. Deshalb bietet die Studie von Götzl, Staiger, Stiawa, Beschoner, Gündel, Becker, Kilian und Krumm von 2021 wichtige Anhaltspunkte, väterliche Bewältigungsstrategien besser zu verstehen. Sie ist vor allem deshalb so wertvoll, weil nun Material vorliegt, wie Väter selbst ihre Erkrankung wahrnehmen und was sie über die Belastung der anderen Familienmitglieder denken.
Studie
Die Untersuchung ist eine Teilstudie im Rahmen der MenDe-Studie „Männlichkeitskonstruktionen und psychosoziales Gesundheitshandeln von Männern mit depressiven Erkrankungen“ (DFG-Projektnr. 288917560). Die 17 teilstrukturierten Interviews wurden im Zeitraum von Juli 2019 bis August 2020 persönlich geführt. Der Interviewleitfaden orientiert sich am aktuellen Forschungsstand zu Elternschaft bei psychischen Erkrankungen und den Auswirkungen auf das Familienleben und die Beziehung zu den Kindern sowie den Hilfebedarf der Väter.
Die Altersspanne der Männer erstreckt sich von 37 bis 64 Jahren, die Kinder waren zwischen 5 und 32 Jahre alt. Acht Männer lebten mit ihren Kindern zusammen in einem Haushalt, bei sieben Teilnehmern waren die Kinder bei den Müttern, eines in einer Pflegefamilie und eines bereits alleinlebend. Etwa die Hälfte der Interviewpartner gingen einer Arbeit in Vollzeit nach.
Ergebnisse:
Das Ergebnis zeigt, dass Väter überwiegend Strategien beschreiben, die unabhängig von der Familie stattfinden (Selbstmanagement, (Nicht-)Sprechen über die Erkrankung). Die Familie wird in die Krankheitsbewältigung oft nicht einbezogen. Das führen die Autoren auf geschlechtsspezifische Unterschiede zurück, wonach Männer mit traditionellem Rollenverständnis eher externalisierende Bewältigungsstrategien und Symptome zeigen. Das Konzept der „Männlichen Depression“ spielt hierbei eine Rolle. Das besagt, dass Männer dazu neigen, ihre depressiven Symptome nach außen zu tragen, aggressiv zu werden, Risiken zu suchen und/oder Suchtmittel zu konsumieren. Männer mit traditionellen Männlichkeitsorientierungen tendieren ebenfalls dazu Depression mit „Schwäche“ zu assoziieren und die Erkrankung generell zu verleugnen.
Depression als Widerspruch zur internalisierten Vaterrolle
Die befragten Väter haben hohe Ansprüche an ihre Vaterrolle. Vor allem fühlen sie sich für die finanzielle Versorgung der Familie verantwortlich. Darüber hinaus möchten sie ihrer Familie auch Aktivitäten und „Events“ bieten. Dieser Druck durch die vermeintliche Vaterrolle spielt auch eine Rolle im Entstehen der Depression, ebenso die Verleugnung der Erkrankung. Die Befragten sehen ihre Vaterrolle mit der Depression als nicht vereinbar an. Die Symptome der Depression müssten ignoriert werden, um die klassische Vaterrolle einnehmen zu können, wie ein Teilnehmer erklärt. Es fällt den Teilnehmern schwer zu akzeptieren, dass sie weniger belastbar sind. Daraus ergibt sich die Herausforderung, die Depression zu überwinden, um die Vaterrolle wieder kompetenter ausfüllen und die des Ernährers einnehmen zu können.
Vaterschaft als Stabilisator
Aus Sicht der Väter hat das Vatersein aber auch positive Aspekte, denn viele Väter erleben ihre Kinder als stabilisierenden Faktor, der ihrem Leben Sinn gibt und sie z.B. davor bewahrt „sich etwas anzutun“. Für die Kinder Verantwortung zu tragen, gibt Halt und Stabilität, führt aber auch zu Überforderung und der Sorge den Ansprüchen nicht gerecht zu werden.
Kommunikation: „Alles ist gut“
Ihre Krankheit in der Familie thematisiert haben nur wenige der Befragten, auch wenn die Auswirkungen auf die Familie groß waren. Die meisten haben versucht, ihre Depression und die damit verbundenen Gefühle vor allem vor den Kindern zu verbergen, auch wenn das nur mangelhaft gelang und ein gewisses Maß an „Schauspielerei“ erforderte.
In Bezug auf die Alltagsstruktur sollte so viel Normalität wie möglich herrschen, um die Kinder keinerlei Unterschiede zu den „besseren Zeiten“ spüren zu lassen. Jedoch machen Symptome wie Antriebslosigkeit und das Bedürfnis in Ruhe gelassen zu werden und sich zurückzuziehen diese Bemühungen oft zunichte und zeigen die Widersprüchlichkeit dieser Strategie auf.
Ausgleich großer Gegensätze
Dieser Bewältigungsweg führt zu einem noch größeren Energieaufwand bei gleichzeitiger Erschöpfung. Er vermeidet die Konfrontation mit der Erkrankung und führt schließlich zur Irritation des Selbstbildes dadurch, gleichzeitig Versorger, Leistungsträger, aktiver und gleichstarker Partner sowie fröhlicher Papa zu sein.
Weiterhin wird beschrieben, dass die mangelnde Aufmerksamkeit an den Kindern häufig zu Stress mit der Partnerin führte, da die Erziehungsaufgaben nicht mehr in vollem Umfang wahrgenommen werden konnten.
Aber auch positive Auswirkungen der Erkrankungen auf die Familie wurden wahrgenommen. Die Interviewten betonten, dass sich die Beziehung zu den Kindern und der Partnerin intensiviert habe. Der Umgang mit den eigenen Gefühlen habe sich verbessert, die Vater-Kind-Beziehung sei durch größere Offenheit und Reflektiertheit gestärkt worden.
Unterstützungsersuchen
Die in die Studie einbezogenen Männer wurden alle im Rahmen ihres Klinikaufenthaltes akquiriert, so dass hier zumindest eine erste Unterstützung in Anspruch genommen wurde. Jedoch wurden therapeutische Familienangebote nur in Ausnahmefällen genutzt, oft sogar abgelehnt. Aufgeschlossener hingegen zeigten sich die Väter, sich in einer Vätergruppe austauschen zu wollen. Dieses Verhalten ist insofern kongruent mit der ich-bezogenen Bewältigungsstrategie, die eine Distanz zwischen Krankheit und Familie schafft, um die Familienmitglieder zu entlasten und den Alltag nicht zu stören. Die Beteiligung an einer Peergroup scheint ein gangbarer Schritt zur „Veröffentlichung“ der Erkrankung zu sein.
Fazit
- Um mehr Väter zu erreichen, braucht es eine Weiterentwicklung der bisherigen Konzepte:
- Mit einer genderspezifischen Perspektive
- Unter Berücksichtigung männlicher Selbstbilder, die die große Bedeutsamkeit von Arbeit, Leistung, finanzieller Sicherung, Schutz vor Beschämung und Gesichtsverlust einbezieht.
- Klärung des Normalitätsbegriffes bei gleichzeitiger Erkrankung und Behandlung
- Eine Anti-Stigma-Perspektive
- Settings und Methoden, die familienkompatibel sind (was auch für Mütter nützlich wäre)
- Aufklärung und Bezug an Orten, wo weitere Bewältigungswege sichtbar werden: Sport, Arbeitsplatz, Coaching und Karriereberatung, Suchtmittelkonsum, Psychosomatik sowie Kardiologie, Erziehungs- und Paarberatung, Trennungs- und Scheidungsberatung
- Männer als Berater und Therapeuten
- Männer und Väter als Peers, in der Selbsthilfe, Peerberatung
- Mehr (männliche) Fachkräfte, die sich mit der Familienperspektive befassen
- Eine Frage, nach den Vätern, wenn sich psychisch belastete und erschöpfte Mütter Hilfe holen
- Die Suche nach den unsichtbaren und abwesenden Vätern
Die von Götzl und Kolleg*innen vorgelegte Studie ist ein wichtiger Betrag, Väter besser zu verstehen. Sie lädt ein individuums-, geschlechter- und rollenbezogener die Bewältigungsstrategien zu verstehen. Sie zeigt auch, dass wir noch viel kreativer darin sein müssen Väter zu erreichen, denn mit dieser herausgearbeiteten Strategie treffen wir viele Väter nicht, die ihre Depression erstklassig verstecken und dann schlimmstenfalls in einem Suizid enden.
Juliane Tausch
M.A. Klinische Sozialarbeit, Kinderschutzfachkraft nach §8a SGB VIII, Supervisorin/Coach (DGSV)
Projektleitung von A: aufklaren
Christiane Rose
Journalistin für Gesundheitsthemen
Öffentlichkeits- und Pressearbeit bei A: aufklaren
Quellenangaben
Götzl, C., Staiger, T., Stiawa, M., Beschoner, P., Gündel, H., Becker, T., Kilian, R. & Krumm, S. (2022).
Vaterschaft und Depression: Familiärer Umgang mit einer depressiven Erkrankung aus Sicht von Vätern – eine qualitative Untersuchung.
Psychiatr. Prax. 49(08): 411-418.
Götzl, C., Staiger, T., Krumm, S. (2020):
Erschöpfte Väter? Vaterschaft und psychische Erkrankung.
Sozialpsychiatrische Informationen 2020/3
Verweise
Die vollständige Studie ist hier veröffentlicht und erwerbbar.
Wir danken dem Thiemeverlag für die Bereitstellung eines Recherchexemplars.
Weitere Infos zum MenDE Forschungsprojekt, Leitung Prof. Dr. Silvia Krumm; Uniklinikum Ulm