Unterstützung für Familien mit einer Demenz mitten im Leben
Ca. 40 Prozent der Betroffenen vor dem 65. Lebensjahr erkranken an einer Alzheimer Demenz, bei der Orientierungsstörungen, Kurzzeitgedächtnis und Planungsprozesse im Vordergrund stehen. Mit über 20% Frontotemporalen Demenzen ist diese Erkrankung bei Jüngeren besonders hoch. Für jüngere Menschen mit Demenz gibt es bisher wenige bis keine Angebote und/oder institutionalisierte Unterstützungs- und Entlastungsangebote. Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zufolge sind ca. 100.000 Menschen 2 unter 65 von einer Demenz betroffen. Menschen mit Demenz unter 65, so genannte Jung Erkrankte, trifft die Demenz mitten im Leben. Sie stehen im Beruf, sorgen sich um die Kinder, haben finanzielle Belastungen wie die Abzahlung des Hauses und vieles mehr. In Folge der Demenz sind Lebenspläne aufzugeben, die Rollenverhältnisse in der Partnerschaft verändern sich, das Selbstverständnis schwankt, vieles eben noch Selbstverständliche und Vertraute entschwindet allmählich der Kontrolle. Zugleich möchten Menschen mit Demenz weiterhin am Leben teilhaben, in der vertrauten Umgebung bleiben, selbständig sowie selbstbestimmt leben. Sie möchten ihren Beruf weiterhin ausüben und die damit verbundene Selbstwirksamkeit und sozialen Kontakte nicht verlieren.
Fallbeispiel: Heiner
Heiner ist Ingenieur in einer großen Firma und hatte bisher Führungs- und Personalverantwortung. Schnell wird im beruflichen Umfeld deutlich, dass etwas nicht stimmt, als er bei Konferenzen ohne Tagesordnung erscheint oder Absprachen vergisst. Nachdem die Ärzte zunächst auf Burnout behandeln, findet in der Gedächtnisambulanz endlich die diagnostische Klärung statt: Alzheimer-Demenz. Nach dem ersten Schock, aber auch der Sicherheit, endlich zu wissen, womit die Familie umzugehen hat, begleiten wir Heiner und seine Ehefrau in vielen Gesprächen zu den sich nun ergebenden Veränderungen und Wünschen. Ein Verbleib im Beruf ist zunächst noch möglich und wird später auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz mit weniger Arbeitsstunden fortgesetzt. Heiner hat immer sehr viel Freude und Selbstbewusstsein aus seiner Tätigkeit gewonnen, so dass der Erhalt dieser Tagesstruktur mit den Sozialkontakten im Unternehmen ein wichtiger Anker für ihn ist. Als die berufliche Tätigkeit enden muss, steht er vor einem großen Zeitloch, das er gern sinnvoll füllen möchte. Im Gespräch wird deutlich, dass er sich ehrenamtlich engagieren möchte und früher schon mit Menschen mit Behinderung gearbeitet hat. Wir machen uns auf die Suche und finden eine ehrenamtliche Tätigkeit bei einem großen Hamburger Träger. Seine Ehefrau Susanne besucht bei uns Kurse und Vorträge, um sich mit dem Krankheitsbild vertraut zu machen und eine gute Kommunikationsbasis zu entwickeln, um den Alltag konfliktfreier zu gestalten. Sie ist Teilnehmerin einer Angehörigengruppe, die sich auch im privaten vertrauensvoll austauscht und unterstützt. Gemeinsam mit ihrem Mann nimmt sie an dem Freizeitangebot „Hamburg mal Anders“ von Ankerpunkt Junge Demenz teil, wo sie unbeschwerte Stunden mit anderen in einer ähnlichen Situation verbringen. Besonders hat beiden das Lach-Yoga gefallen.
Erkrankt ein Familienmitglied an einer Demenz ist immer das gesamte Familiensystem erschüttert. Die psychische Belastung der Partner*innen ist häufig aufgrund der Mehrfach-Belastung sehr hoch: eigene Berufstätigkeit, Rollenveränderungen, Verlusterfahrungen, veränderte Lebenspläne und finanzielle Belastungen. Eine Begleitung der erkrankten Person ist nicht in dem zeitlichen Umfang möglich wie nötig. Im Verlauf der Demenz bedürfen Arzt und Therapietermine, Behördengänge wie auch Hobbys oftmals einer Erinnerung oder Begleitung.
Fallbeispiel: Petra
Petra ist mit Mitte 50 an einer Alzheimer-Demenz erkrankt. Sie lebte stets selbständig in einer Großstadt, was nun nicht mehr länger möglich war. Ihre Schwester hat für sie einen Platz in einem Hamburger Pflegeheim in Hamburg gefunden. Leider gibt es keine passenden Wohnformen für Jungerkrankte. Sie lebt jetzt in einer Einrichtung mit älteren Menschen. Die Angebote sind nicht passend für Petra und sie entwickelte zusätzlich eine depressive Symptomatik. Zusammen mit Petra, ihren Geschwistern und ihrer besten Freundin haben wir
nach Möglichkeiten gesucht, sie optimal zu unterstützen. Sie ist jetzt integriert in unsere Selbsthilfegruppe TrotzDem. Sie geht offen mit ihrer Erkrankung um und möchte sich auch an Vorträgen beteiligen. Wir haben eine junge Ehrenamtliche gefunden, die passende Unternehmungen mit ihr macht und eine ambulant psychiatrische Einrichtung, in der sie zusätzliche Aktivitäten nutzen kann.
Ein besonderes Augenmerk gilt den Kindern und jungen Erwachsenen, die man als Young Carer bezeichnet. Ein Begriff, der weniger den Pflegeaspekt als das „to care“ im Sinne des sich Sorgens herausstellt. Während sich der Fokus in der Familie verständlicherweise stark
auf die erkrankte Person konzentriert, können die jungen Familienangehörigen leicht aus dem Blick geraten. Was bedeutet es für junge Menschen, wenn ein Elternteil erkrankt? In dieser Altersgruppe stellt sich die Frage, ob sich Pflege- und Unterstützungsaufgaben mit den anderen An- und Herausforderungen des Lebens und mit den alterstypischen Entwicklungsaufgaben in ihrer biographischen Situation vereinbaren lassen.
Fallbeispiel Kinder: Anna-Lena
Anna-Lena (20) haben die Veränderungen ihres Vaters sehr belastet. Er ist erst Anfang fünfzig und hat die Diagnose Alzheimer Demenz erhalten. Obwohl sie sich sehr viel mit den Symptomen der Krankheit auseinandergesetzt hat und darum weiß, dass er sich an viele
Ereignisse in letzter Zeit nicht mehr erinnert sowie Termine vergisst. Es schmerzt sie sehr, dass ihr einstmals so liebevoll zugewandter Vater weniger Anteil an ihr und ihrem Leben nimmt, da er vieles vergisst. Sie ringt mit sich, ob sie ausziehen und in einem anderen Ort studieren darf. Sie möchte ihre Mutter nicht im Stich lassen, die sehr belastet wirkt. Sie merkt wie sie den Kontakt mit ihrem Vater zunehmend meidet und mit sich hadert. Da es keine Verbesserungen geben wird, muss sie doch jeden Moment nutzen und genieße. Anna-Lena
hat in einer Gruppe mit Gleichaltrigen gelernt, dass sie nicht allein und ihre Gefühlsachterbahn „normal“ ist. Sie lernt andere Muster und Strategien kennen und hat jetzt eine Community, die sie unterstützt und versteht.
Es gibt in Deutschland bisher nur vereinzelt Beratungsstellen und Angebote zum Thema junge Menschen mit Demenz. Bei den Frontotemporalen Demenzen stehen hauptsächlich Verhaltensauffälligkeiten, Veränderungen der Persönlichkeit, Impulskontrollverlust, fehlende
Empathie, Interessenverlust oder Veränderungen der Sprache im Vordergrund, sodass das Zusammenleben mit der erkrankten Person eine große Herausforderung für die Familie bedeutet. Eine gute Aufklärung zum Krankheitsbild, Verständnis und Lösungsorientierung für
den Umgang erleichtern den Alltag der Betroffenen.
Fallbeispiel Kinder: Lena und Jonas
Lena (12) und Jonas (10) merken, dass ihre Mutter sich zunehmend verändert. Ihre Sprache ist anders: die Inhalte sind Worthülsen und machen keinen Sinn mehr. Zunehmend vermeiden sie das Gespräch, da sie das Gefühl haben, dass ihre Mutter häufig gar nicht weiß, wovon sie sprechen. Früher hat sie mit Ihnen geduldig Hausaufgaben gemacht, gespielt, gebastelt und ihren Alltag organisiert. Daran hat sie jetzt kein Interesse mehr. Sie sitzt lieber auf dem Sofa. Ihre Mutter hat eine Variante der Frontotemporalen Demenz.
Neuerdings kann sie es nicht mehr ertragen, wenn etwas herumliegt. Sie ist zwanghaft ordentlich, sortiert Knöpfe und die Mahlzeiten müssen immer zur gleichen Zeit eingenommen werden. Ansonsten wird ihre einst so liebevolle Mutter sehr wütend und hat sie auch schon grob angepackt. Freunde bringen sie nicht mehr mit. Es ist ihnen peinlich. Neulich hat ihre Mutter beim Essen die Blumen gegessen, die auf dem Tisch standen. Die pflücken sie ihr jetzt nicht mehr. Auch ihr Vater ist mit der Situation überfordert, da er auch noch arbeiten
muss. Er holt sich Unterstützung und findet so eine Alltagsbegleitung für die Kinder und den Haushalt. Seine Kinder werden bei einem Angebot für Kinder von psychisch erkrankten Eltern aufgefangen. Sie lernen, dass die Reaktionen ihrer Mutter nicht ihre Schuld sind und sie fröhlich Ihren Hobbies nachgehen dürfen. Auch können Sie sich frei im Haus bewegen, wenn Ihre Mutter in der Tagespflege ist. Irgendwann reicht das nicht. Sie wünschen sich, dass ihre Mutter in ein Pflegeheim kommt. Dann können sie endlich wieder Urlaub mit Papa
machen.
Bisher sind wir mit über 200 Familien in mehr als 700 Gesprächen begleitend von Beginn bis Ende der Erkrankung in Kontakt. Ziel des Projektes ist es, individuell auf die Bedarfe der Erkrankten und Angehörigen einzugehen und sie dabei zu unterstützen, zuversichtlich und gestärkt mit der Erkrankung zu leben und umzugehen. Dafür schaffen wir Angebote in der Selbsthilfe, schulen und klären zu präseniler Demenz und seltenen Demenzformen auf und schaffen ein Netzwerk, welches belastbar für die Zielgruppe eintritt und unterstützt.
Einige Klienten benötigen nur am Anfang eine Richtungsweisung und Motivation, wie sie mit der neuen Situation umgehen und melden sich nur alle paar Monate bei uns. Über unseren Newsletter bleiben sie informiert und angebunden. Andere kommen erst in einer Krisensituation auf uns zu. Mittlerweile haben wir ein gutes Netzwerk, welches es ermöglicht, schnell zu unterstützen. Manche kommen auch aus anderen Teilen Deutschlands und wir vermitteln aufgrund unseres bundesweiten Netzwerkes an die passenden Adressen.
Stefanie Klinowski
Alzheimer Gesellschaft Hamburg
Projektleitung Ankerpunkt Junge Demenz, FTD und Vorträge
T 040 88 14 177 283
Email: s.klinowski@alzheimer-hamburg.de
Christine Berg
Alzheimer Gesellschaft Hamburg
Ankerpunkt Junge Demenz, Kurse & Fortbildungen
T: 40 88 14 177 286
Email: c.berg@alzheimer-hamburg.de
Verweise
Alzheimer Gesellschaft Hamburg e.V.
Wandsbeker Allee 68
22041 Hamburg
E-Mail: ankerpunkt-junge-demenz@alzheimer-hamburg.de
https://www.alzheimer-hamburg.de
Tel: 040–8814-177/ –286 oder /-283