Trauerbegleitung als Handlungsfeld Sozialer Arbeit?
Fachbeitrag von Samira Schüller
Allgemeines und Spezielles
Wenn ein Familienmitglied oder ein nahestehender Mensch stirbt, verändert dass das Leben der Kinder, Jugendlichen und Zugehörigen grundlegend. Das ganze Familiengefüge bewegt sich. Es kommen Fragen nach dem Warum, Woher und Wohin, nach dem Wie geht es ohne sie/ihn weiter? Wo bist du jetzt? Wie kannst du Teil meines Lebens bleiben? Will ich das überhaupt? Wie sage ich es meinen Kindern? Wie trauere ich „richtig“? Brauchen wir jetzt Therapie? auf, die sehr schmerzlich sein können. Trauer, Wut, Suchen, Fragen nach dem Sinn – in der Trauer verdichten sich Fragen, die uns als Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen aus unserer Arbeit vertraut sind und kommen plötzlich in einem sehr hohen Maße auf uns zu. Wie trauernden Kindern, Jugendlichen und ihren Zugehörigen begegnen? Was kann ich sagen, soll ich etwas sagen? Wie das Thema angehen? Worum geht es jetzt eigentlich? Ist das mein Arbeitsfeld, oder braucht es dazu externe Spezialisten? Was kann ich tun, wenn kein Zugang zu speziellen Hilfen besteht? Was habe ich in meinem Handwerkskoffer?
Als Erstes möchte ich sagen: Sie als Sozialpädagog*in, als Erzieher*in müssen das Rad nicht neu erfinden. Grundlegendes Handwerkszeug haben sie in Ihrem Koffer!
Worum geht es?
Es geht um Umgang mit Gefühlen. Gefühle erkennen, benennen (spiegeln) und regulieren. Es geht darum, Kindern und Jugendlichen zu helfen, ihre eigenen Fragen zu stellen und mit ihnen zusammen ihre eigenen Antworten zu suchen. Fragen und Nichtwissen auszuhalten. Dem Kind und dem Jugendlichen stellvertretende Hoffnung und Zutrauen zu vermitteln, dass es seinen/ihren Weg durch die Trauer finden wird. Es geht darum, darin zu unterstützen, Worte zu finden (versprachlichen), Bilder im Spiel, kreativen Ausdruck zu ermöglichen.
Als erstes wesentliches Element steht hier: Den MUT haben auszusprechen, was ist: Der Verstorbene ist tot. Nutzen sie weder Metaphern noch Worthülsen, Umschreibungen oder Ironie. Sie erinnern sich an ihre Ausbildung: Kinder nehmen Erwachsene beim Wort, sie nehmen Bilder wörtlich. So lief ein 6-jähriges Mädchen aus meiner Begleitung immer wieder bei Rot über die Ampel. Wie sich in den Gesprächen und Spiel in der Begleitung herausstellte, weil ihr gesagt wurde, ihre verstorbene Mama sei immer sofort da (als Schutzengel), wenn sie in Gefahr sei. Oder ein 5-Jähriger, der nach dem Flug in den Urlaub ganz still und traurig war, nicht reden mochte. Später stelle sich heraus, dass ihm gesagt wurde, sein verstorbener Papa säße in den Wolken. Und er hatte während des Fluges herausgefunden, dass das nicht stimmt. Er hatte das Bild beim Wort genommen. Gehen Sie in Kontakt mit der trauernden Familie, fragen Sie, welchen Umgang sie sich wünscht. Für den Umgang mit Trauerfällen in Schulen und anderen pädagogischen Einrichtungen empfehle ich gerne die „Handreichung Tod und Trauer in der Schule“, die Sie hier kostenlos herunterladen können.
Zur spezifischen Begleitung trauernder Kinder und Jugendlicher im Rahmen von Einzelbegleitung empfiehlt sich Unterstützung durch eine qualifizierte Trauerbegleiter*in. Hier hilft der Bundesverband Trauerbegleitung mit Adressen und Kontaktdaten weiter.
Einzelbegleitung und/oder Gruppensetting?
Einzelbegleitung unterscheidet sich von Gruppenangeboten im wesentlich dadurch, dass in der Gruppe der Fokus noch stärker auf Ressourcenaktivierung und Stärkung von Resilienz liegt als in der Einzelbegleitung ohnehin schon.
Im Einzelsetting ist es möglich, ganz individuell auf Erinnerungen an den Verstorbenen, an die Zeit des Sterbens und Abschiednehmens, auf Fragen nach der Todesart und dem „Warum“ einzugehen als in der Gruppe. Im Gruppenkontext – insbesondere, wenn es sich um potenziell traumatische Umstände geht – ist unbedingt darauf zu achten, dass die Teilnehmer*innen einander nicht in Flashbacks, in Erstarrung und Überflutung bringen. Ständige Wiederholung des Geschehenen, Wiedererleben von Erstarrung, Ohnmacht, Kontrollverlust und ausgeliefert sein vertieft die traumatischen Spuren in Psyche, Hirn und Seele und ist absolut kontraproduktiv.
Der Vorteil an der Gruppe ist die Erfahrung: Ich bin nicht alleine, das ist nicht nur mir passiert. Alle anderen Gruppenteilnehmer*innen sind „ganz normal“ – dann ist an mir vielleicht auch nichts falsch? Diese Erfahrung kann dabei helfen, Schuldgefühle zu relativieren, mit der Zeit zu distanzieren und somit das Selbstwertgefühl stärken.
Tiere als Beziehungsoption, Brücke und Türöffner in der Begleitung
Der Einsatz von in tiergestützter Pädagogik ausgebildeten Fachkräften mit ihren dafür zugelassenen Tieren, kann gerade bei Kindern und Jugendlichen, die aus bisherigen Erfahrungen mit Erwachsenen misstrauisch und schwer zugänglich sind, Türen öffnen und Brücken bauen.
Hier möchte ich gern ein anonymisiertes Fallbeispiel zur Verdeutlichung heranziehen:
Fallbeispiel
Kate, 9 Jahre alt, Suizid des Vaters nach Herausnahme des Kindes aus der Familie aufgrund seiner Suchtproblematik in Zusammenhang mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, Mutter zu der Zeit in einer stationären Langzeittherapie
Die Situation:
Kate will zunächst nicht zur Trauerbegleitung kommen, auch Kinderpsychotherapie und Ergotherapie und Beratung lehnt sie ab. Wird sie zu den Terminen gebracht, blockt sie ab: Sie schweigt, verweigert Blickkontakt, ihre Körperhaltung ist starr und verschlossen. Sie sitzt die Termine wortlos ab. Nach einem ersten Telefonat mit der Pflegemutter erzählt diese Kate, dass sie gerne einen Termin für sie bei mir machen will. In Absprache mit mir zeigt sie Kate das Bild von meinen beiden ausgebildeten Hunden auf meiner Homepage und kündigt an, dass Lotte und Leo auch bei mir arbeiten. Als Kate und ihre Pflegemutter zu mir kommen, huscht Kate an mir vorbei und schaut sich um. „Wo sind die Hunde?“ Ich erzähle ihr, dass die Hunde im Büro sind und dort warten. Zunächst müsse ich mit ihr schnacken, was sie denn schon alles über Hunde wisse, damit das gut klappt, zwischen den Hunden und ihr. Sie schaut auf. „Ich weiß ne Menge“, sagt sie und grinst. „Okay erzähl mal!“ – und wir sitzen am Tisch, ihre Augen leuchten. Sie schaut mich an, zieht ein Bein auf den Stuhl und lehnt sich vor: „Ich kenne eine Menge Hunde. Also Hunde mögen …“
„Ich weiß ne Menge“, sagt sie und grinst. „Okay erzähl mal!“
Gemeinsam überlegen wir, was Lotte oder Leo brauchen, um sich wohlzufühlen. Wie sie es schaffen kann, ihr Vertrauen zu gewinnen. Woran sie merken kann, wie es den beiden geht. Wir besprechen, dass einer der Hunde rüber kommt, nicht beide gleichzeitig (ich arbeite immer nur mit einem der beiden Hunde im Einsatz). Da beide Hunde fit und einsatzbereit sind, darf Kate aussuchen, welcher Hund zu ihr kommt. Es ist Leo, der dreijährige, lebhafte Rüde. Wir vereinbaren, dass ich das letzte Wort mit den Hunden habe, ich aufpasse und gucke, dass es allen gut geht. Das ist mein Job, abgemacht. Los gehts!
Was ist passiert?
Kate hat vor allem eins erlebt: Selbstwirksamkeit. Sich selbst als kompetent. Es geht um ein ungefährliches Thema, in dem sie sich auskennt. Wir fokussieren nicht auf „ihr Problem“, sondern auf etwas, was sie mag und kann. Es geht um ihr Wissen – nicht um meine Theorie über ihr Problem. Es geht darum, wie sie das Vertrauen der Hunde gewinnt – nicht darum, dass sie mir vertrauen muss, soll, sollte oder müsste. Leo ist unvoreingenommen, lebendig und Kate ist in der Rolle der Wissenden und Starken. Kate überträgt das Vertrauen, dass sie den Hunden und sich selbst im Kontakt mit den Hunden entgegenbringt, schrittweise auf die Situation mit mir und dann auf mich. Inzwischen haben wir eine sichere, stabile Arbeitsgrundlage und können in den Bereichen Stärkung emotionaler Kompetenzen, Selbstwirksamkeit, Psychoedukation, Erinnerungsarbeit, Ressourcenaktivierung große Fortschritte machen.
Mehr zu dem Einsatz der Hunde in der Trauerbegleitung finden Sie hier.
Quellenangaben
- Hantke & Görges (2012): Handbuch Traumakompetenz, Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik, Junfermann Verlag Paderborn
- Rechenberg-Winter /Fischinger (2010): Kursbuch systemische Trauerbegleitung, Vandenhoeck & Ruprecht
- Vernooij / Schneider (2008): Handbuch der Tiergestützten Intervention, Quelle & Meyer Verlag
- Julius / Betz /Kotrschal / Turner / Uvnäs-Moberg (2014): Bindung zu Tieren Psychologische und neurobiologische Grundlagen tiergestützter Intervention, Hogrefe Verlag