Sprechen und Sprache geben – Settings für Kinder

Welche geeigneten Settings gibt es für Kinder?

Ein typisches Merkmal von Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil ist Sprach- und Wortlosigkeit über die Krankheit. Nichtsprechen und keine Worte haben, sind Teil des Befremdens, das sich durch eine hohe psychische Belastung einstellen kann. Nicht sprechen macht die Familienmitglieder unglücklich, vertieft Gräben, schafft Vereinzelung und Verstörung. Darin haben Geheimnisse, Enttäuschungen, Vorwürfe, pinke Elefanten, Unglück und die Krankheit selbst viel Platz, sich auszubreiten (Kronmüller 2016). 

Sowohl für betroffene Eltern als auch ihre Kinder sind das Schweigen und die Wortlosigkeit ein bleiernes Korsett, das zu unerträglicher Stille führen kann. Tabuisierungen und Kommunikationsverbote, „Sprachregelungen“ und Codes sind Teil des Familienalltags, wenn Scham- und Schuldgefühle reguliert werden müssen (Lenz 2014). 

Im Zuge der Resilienzforschung wurde deutlich, dass sprachliche Vermittlung von Krankheitswissen sowie die Kommunikation darüber, wichtige Schutzfaktoren darstellen, die das Risiko für Kinder selbst zur erkranken reduzieren können (Lenz 2014).

Dabei geht es 

  • um die Selbstwahrnehmung (im Sinne eines Selbstgespräches)
  • die eigene Ausdrucksfähigkeit 
  • Sprache zur Erklärungen zu nutzen
  • Kommunikation miteinander – im Aus- und Ansprechen 
  • Sprechen zur Beziehungsgestaltung 
  • um das Wissen, um Phänomene und Begriffe, die Verständigung ermöglichen

Wie können Kinder also gestärkt werden?

Wissensvermittlung

Altersspezifische Erklärungen mit kindgerechter Wortwahl können diffuse Eindrücke, Beobachtungen und Erlebnisse ordnen. Die das Gespräch fördernde Person ist Modell für Worte und Sprechen, die nachgeahmt und selbst aktiv benutzt werden können. Mit dem Aussprechen wird die Erlaubnis gegeben, Erlebtes und Gefühltes nach außen zu bringen. Das wirkt entlastend, denn es gibt einen Namen und eine Erklärung dafür. Wissensvermittlung heißt auch, die Fragen von Kindern zu beantworten, ehrlich und ihrem Entwicklungsstand entsprechend (Lenz 2014).

Selbstwahrnehmung stärken

Kinder psychisch erkrankter Eltern sind hochsensibel und anpassungsfähig. Sie sind sehr feinfühlig darin, Nuancen der Stimmungen bei ihren Eltern wahrzunehmen, um keinen Anlass zur Verschlechterung zu geben. Dabei nehmen sie sich extrem zurück und unterdrücken ihre eigenen Gefühle (Lenz 2014). Was sie fühlen, scheint erst einmal nicht bedeutsam. Hinzu kommt die mögliche Bewertung und Entwertung ihrer Erzählungen durch den erkrankten Elternteil. Das heißt schließlich, die eigene Intuitionen, das Vertrauen und die Selbstwahrnehmung sind massiv verfärbt oder unterdrückt. Es sollte deshalb jedes Kind und jeder Jugendliche gefragt werden: Wie geht es dir jetzt gerade? Was möchtest du mir von dir sagen? Was geht dir durch deinen Kopf, wenn xy passiert oder A etwas sagt?

Ausdruck geben

Sich als Person auszudrücken macht einen Teil unserer Identität aus – sprachlich, körperlich, gestalterisch. Nicht nur das Reden, was Kindern und Erwachsenen oft nicht leicht fällt, auch vielfältige Formen des Ausdrucks stärken Kinder, den eigenen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Spielen, Tanzen, Malen, Singen, Rollenspiel – all das können Methoden für die Eröffnung eines Dialogs sein. Entscheidend ist es, den Raum dafür zu öffnen und Rituale zu schaffen, die Sicherheit und Aufmerksamkeit herstellen und verlässlich signalisieren „Hier geht es um dich. Du bist wichtig.“

Entlastung finden

Eine Person (und einen Ort), der Kinder alles erzählen können, stärkt sie. Das Unverstehbare, die Ambivalenzen, die Traurigkeit, die Wut – all das kann sich neu regulieren, wenn Entlastung entsteht. Pakete und Rucksäcke voller Sorgen unterwegs abzugeben, ist für Kinder und Jugendlichen wichtig, denn nur wenn sie weniger schwer tragen, können sie auch nach Hause zurückgehen.

Kontakt herstellen

Auf das Mitgeteilte Resonanz finden ist bedeutsam, da nur so Kontakt und Beziehung entstehen können. Das Gefühl, verstanden und ernst genommen zu werden, stärkt die Selbstwahrnehmung und erzeugt ein Gefühl der Verbundenheit. 

Gleiches teilen und Gemeinsamkeiten entdecken

Im Sprechen mit anderen entsteht auch der Moment von „das kenne ich auch“, „das ist bei denen genauso“. Zu erleben, dass andere Kinder (Personen) Ähnliches erleben, öffnet die Isolation. „Ich bin nicht alleine. Das passiert nicht nur mir. Da versteht mich jemand und es braucht nicht viele Worte.“ Diese Momente sind stärkend und entlastend zu gleich.

Verbündete finden

Kinder und Jugendliche brauchen verlässliche Verbündete an ihrer Seite, die mit ihnen aushalten, an sie glauben, sie im Notfall beschützen, sie verstehen, wenn Sprechen nicht geht, die ihre Erzählungen interessieren und die Spannungen der Loyalitätskonflikte halten können. All das ist Kommunikation und Beziehung. Davon brauchen Kinder psychisch kranker Eltern eine Extraportion.

Wo können Kinder gestärkt werden?

Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen spezifische und alltägliche (normale) Orte, an denen sie Unterstützung in Selbstwahrnehmung und Ausdrucksfähigkeit finden.

Präventiv
In den allgemeinen Kontexten von Kita, Schule, Sportverein und Freizeitorten brauchen sie Raum, sich zu erleben und auszudrücken. Unabhängig vom häuslichen Hintergrund sind Rituale wie Morgenkreise, Wie-geht-es-mir-Symbole, Feedbacks, Projekte zu Gefühlen, Kummer und Sorgen, Entspannung, Yoga, Auspowern, aber auch die Wissensvermittlung zu Gesundheit, Hilfe und Krise, Selbstfürsorge und psychischen Krankheiten, wichtige Teilelemente. Je alltäglicher das Thema „Psychische Belastung“ wird, desto mehr löst sich das ihm anhaftende Tabu auf.

In Gruppen
Gruppenangebote für Kinder psychisch erkrankter Eltern sind ein wichtiges Element in der Begleitung und Hilfestellung. Sie gehören zu den am häufigst eingesetzten Hilfeformen (Lenz 2014). Sie bieten eine „Pool“ an sozialen Ressourcen {…} zum Austausch verschiedener Lösungsmodelle und Bewältigungsstrategien“ (Lenz 2014, S. 295).

Mittlerweile liegen vielfältigste evaluierte Gruppenprogramme vor. Dazu gehören:

  • „Echt Stark!“ Ein Manual für die Arbeit mit Kindern psychisch kranker und suchtkranker Eltern
  • „Esmeralda - Wie geht es Dir?“ Manual zur Gruppentherapie für Kinder psychisch kranker Eltern
  • Auryn-Gruppen z. B. bei Wege e.V. in Leipzig
  • Kanu - Kindergruppen im Rahmen des Modularen Präventionsprogramms „Kanu“
  • „Trampolin“ Ein modulares Präventionskonzept für Kinder aus suchtbelasteten Familien
  • La Ola, Wellengang Hamburg

Neben diesen Programmen finden sich vielerorts Gruppenangebote, die im Kontext von Beratungsstellen, der Jugendhilfe, Suchthilfe, sozialräumlichen Angeboten oder als Teil von Familienberatung im klinischen Kontext angeboten werden.

Kernelemente vieler Gruppen sind: 

  • Rituale, um von sich und der Situation zu Hause zu erzählen.
  • psychoedukative Aspekte mit Hilfe von Büchern, Filmen oder Geschichten.
  • das Sprechen über Gefühle und Stimmungen mit Puppen, Playmobil oder Methodenkarten.
  • kreative Ressourcenarbeit.
  • Arbeit zu Schatzkisten mit hilfreichen Kontakten oder Übungen zur Selbstregulation.

Eine Aufstellung der Gruppenangebote in Hamburg kann hier aufgerufen werden.

Ergänzend zu den pädagogisch und therapeutischen Elementen hat die Ausgestaltung der Gruppen auch immer etwas mit den Rahmenbedingungen der Finanzierung zu tun, z. B. für eine bestimmt Altersgruppe da zu sein, eine therapeutische Behandlung und damit Diagnosestellung bei den Eltern, finanzielles Budget oder sozialräumliche Bedarfe.

Im Kontext der Coronapandemie haben viele Gruppenanbieter ihren Gruppenalltag an die Hygieneauflagen angepasst. Dass die Gruppen weiterhin für Kinder verfügbar sind, ist von enormer Bedeutung. Die Kinder schätzen diese Inseln sehr und brauchen hier unbedingt den Rückhalt und die Verlässlichkeit. Gruppen für Kindern psychisch kranker Eltern sind während Corona ein wichtiger Teil des Kinderschutzes.

Im Einzelgespräch

Kindern Gespräch anzubieten, sollte immer in einem geschützten Rahmen erfolgen, der keine Mithörer*innen und ausreichend Zeit bietet. Das können Gespräche mit Vertrauenspersonen, wie z. B. Beratungslehrer*innen, Pädagog*innen im Freitzeithaus, Erzieher*innen im Ganztag oder Religionspädagog*innen in der Gemeindearbeit sein. Auch Paten sind wichtige Bezugspersonen, die zuhören, bestärken und ermutigen sollen. Es ist wichtig, verlässlich für die Kinder da sein zu können, denn es ist nicht leicht, Vertrauen zu fassen. Oft dauert es eine lange Zeit, bis Kinder sich explizite Hilfe erbitten. Wenn es der Spielraum hergibt, dann sind Zuhören und gemeinsam Aushalten ein guter Anfang.

Online- und Peerberatung sind weitere Möglichkeiten, Entlastung und Unterstützung zu erfahren. Soweit die technische Ausstattung vorhanden ist, können insbesondere Jugendliche sich hier unkompliziert und zeitlich unabhängig Beratung holen – per Mail, in Chats oder Foren (wodurch auch eine Art Gruppensetting entsteht).

Intensivere Einzelbegleitung ist im Rahmen von Erziehungsbeistandschaften nach § 30 SGB VIII möglich. Dies bedarf eines Antrags auf Hilfe zur Erziehung beim Jugendamt. Auch im Kontext von Erziehungsberatungsstellen können Einzelgespräche stattfinden. Insgesamt ist in Hamburg die Möglichkeit auf Einzelberatung nur punktuell möglich. Sollte die SGBVIII-Reform einen eigenen Beratungsanspruch für Kinder und Jugendliche ohne das Vorliegen einer Notlage ermöglichen, so wäre hier ein großer Handlungsspielraum, qualifizierte Beratungsorte sozialräumlich zu etablieren. Auch im Sinne eines präventiven Kinderschutzes.

Sollten Kindern und Jugendliche bereits so stark durch die häusliche Situation belastet sein, dass sie eine eigene Symptomatik wie z. B. Ängste, Schlafstörungen, Grübeleien, selbstverletzendes Verhalten zeigen, dann steht ihnen auch eine eigene Psychotherapie bei einer/einem Psychotherapeut*in für Kinder und Jugendliche zu. „Jugendliche können sich auch ohne Wissen der Eltern an eine*n Psychotherapeut*in wenden. In der Regel kö̈nnen gesetzlich versicherte Jugendliche ab 15 Jahren die Psychotherapie selbst bei der Krankenkasse beantragen“ (Psychotherpeutenkammer 2014, S.12).

Kinder brauchen eine Erlaubnis ihrer Eltern

Die allermeisten Hilfen für Kinder und Jugendliche hängen davon ab, ob Eltern der Teilnahme zustimmen. Sie als Sorgeberechtigte müssen ihr Einverständnis geben. Das heißt, dass es ein gewisses Problembewusstsein braucht, in dem die Stärkung der Kinder mehr Raum bekommt als die eigenen Ängste vor Veränderung (Lenz 2019). Neben dem inneren „ja“ braucht es auch die Kraft und Mühe, Kinder bei den Angeboten anzumelden, an Vorgesprächen teilzunehmen und dann in der Folge die Termine wahrzunehmen. Je kleiner die Kinder sind, desto mehr sind sie darauf angewiesen, dass ihre Eltern den Termin erinnern und den Weg dorthin begleiten. Das ist nicht immer leicht umzusetzen, denn die Tagesform, das Geld für den Bus, zu viele Termine in der Woche oder Stress in der Familie sind hier Gegenspieler, die die anfängliche Motivation sabotieren. Es ist deshalb wichtig, sensibel mit den Eltern im Gespräch zu bleiben und mögliche Hürden gemeinsam zu überwinden.

Letztlich heißt ein Stärkungsangebot für Kinder auch immer Veränderung und Weiterentwicklung. Und das kann zu Spannung zu Hause führen. Ob Kinder sich einlassen, hängt also an der Erlaubnis ihrer Eltern auf der Beziehungsebene und zum anderen an der Ressource, den Loyalitätskonflikt neu ausbalancieren zu können. Manche Angebote für Kinder sind deshalb auch mit Elterngruppen, Elterngesprächen oder multifamilientherapeutischen Ansätzen kombiniert und zeitlich parallel angesetzt.

Juliane Tausch

M.A. Klinische Sozialarbeit, Kinderschutzfachkraft nach §8a SGB VIII, Supervisorin/Coach (DGSV)
Projektleitung von A: aufklaren

Literaturangaben

  • Bauer, U. et al. (2013): Psychische Erkrankung in der Familie. Das Kanu-Manual für die Präventionsarbeit. Psychiatrie Verlag. Köln.
  • Böge, I., Williamson, A.: Esmeralda - wie geht es Dir?. Kohlhammer. 2013.
  • Bröning et al. (2012): Konzeption und Evaluation eines modularen Präventionskonzepts für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Einsehbar unter:
  • Dierks, H. (2001): Präventionsgruppen für Kinder psychisch kranker Eltern im Schulalter („Auryngruppen“). Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 50 (2001) 7, S. 560-568.
  • Kronmüller, K. (2016): Bewältigungsstrategien in Familien mit psychischer Erkrankung. In: Die Kinderschutzzentren: Ein verrücktes Leben. Köln. S.11-19.
  • Lenz, A. (2019)v: Ressourcen psychisch kranker und suchtkranker Eltern stärken. Göttingen. Hogrefe. 
  • Lenz, Albert (2014): Kinder psychisch kranker Eltern. Göttingen. Hogrefe. 
  • Schulze, U. et al: Echt Stark! Ein Manual für die Arbeit mit Kindern psychisch kranker und Suchtkranker Eltern. Springer. 2014.
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