Prävention und Gesundheitsförderung – zwei Seiten einer Medaille

Was versteht man eigentlich unter Prävention?

Das Feld der Prävention ist ein weiterer Handlungsbereich im Arbeitsfeld Kinder psychisch erkrankter Eltern – und ein bisschen auch eine Welt für sich. In unserem ganzheitlichen Verständnis, Kinder und Eltern zu unterstützen und zu stärken, wagen wir uns in das Feld des SGB V hinein. Die Nationale Präventionskonferenz hat die seelische Gesundheit zum Schwerpunktthema gemacht. Zeit, für uns ein paar Begriffe zu klären. Dr. Gregor Breucker hat das für uns getan. Wir laden Sie dazu ein, Ihr Engagement im KipeE-Feld heute aus dieser Perspektive zu betrachten. Uns kommen da gleich noch viel mehr Ideen was in Zukunft noch alles getan werden müsste.

Diese Frage könnte auch aus der „Sendung mit der Maus“ stammen. Viele Menschen verbinden diesen Begriff sicherlich mit Maßnahmen und Verhaltensregeln im Umgang mit Krankheiten. „Prävention“ stammt im Wortursprung aus der lateinischen Sprache und bedeutet sinngemäß „zuvorkommen“ oder „vorbeugen“ (praevenire). Vorgebeugt werden soll dabei ganz allgemein möglichen Schäden sowie auch Risiken, aus denen sich Schäden entwickeln können. Die Prävention zielt idealerweise auf die vollständige Vermeidung von Schäden und Risiken sowie auch auf die Begrenzung und Verringerung möglicher Schäden und Risiken, wenn sie sich nicht vollständig verhindern lassen. 

Die „Schadens- und Risikoarten“ sind durchaus sehr unterschiedlich. Während es in der Finanzpolitik etwa um die Prävention von Währungs- und Bankenkrisen geht, steht in der Umweltpolitik z. B. die Verhütung möglicher Schäden infolge der Erderwärmung im Mittelpunkt. Diese Beispiele verdeutlichen, dass es in allen Handlungsfeldern auch immer um präventive Maßnahmen in Bezug auf nicht erwünschte Schäden bzw. Risiken geht. Gegenstand und Zweck der gesundheitlichen Prävention ist die Verhütung von Krankheiten und die Verringerung bzw. Begrenzung von Risiken, die zu gesundheitlichen Schäden (Krankheiten) führen können. 

Diese Schäden und Risiken können sich auf Menschen (bis hin zu ganzen Bevölkerungsgruppen) oder die äußere Umgebung von Menschen beziehen. Erkrankungen, Verletzungen aller Art sowie gesundheitsrelevante Risikofaktoren (z. B. ein hoher Blutdruck oder auch ein exzessiver Tabakkonsum) betreffen Menschen bzw. Menschengruppen. Verkehrsunfälle bei schlechten Witterungsbedingungen, ein hoher Schadstoffgehalt in der Luft oder lang anhaltender Stress am Arbeitsplatz sind Beispiele für gesundheitsrelevante Schäden bzw. Risiken in der Umgebung von Menschen. In Bezug auf das Aufwachsen in einer Familie mit einem psychisch erkrankten Elternteil ist Risiko, selbst eine psychische Erkrankung auszubilden, um das drei- bis vierfache erhöht.

Verhältnisprävention vs. Verhaltensprävention

Die Unterscheidung zwischen Menschen und ihren Umgebungen ist sehr wichtig für die Auswahl und Gestaltung von präventiven Maßnahmen. Ein wichtiger Grundsatz ist dabei der Vorrang der Vermeidung von Schäden in der Umgebung vor Maßnahmen, die sich auf Menschen direkt beziehen. Die Krankenkassen haben hier das Begriffspaar „Verhältnisprävention (bezieht sich auf die Umgebung) vs. Verhaltensprävention“ geprägt. Und in den allermeisten Handlungsfeldern gilt der Grundsatz „Verhältnisprävention comes first“. 

Dieser Grundsatz gilt vor allem für die Risikofaktoren, die von unserem Lebensstil, also unseren Gewohnheiten in den Feldern ‚Ernährung‘, ‚Bewegung‘, ‚Suchtmittelkonsum‘ und ‚Stressbewältigung‘ abhängen. Sehr oft begünstigen äußere Lebensumstände die Ausbreitung gesundheitsschädlicher Risikofaktoren, wie z. B. beengter Wohnraum. 

Der Vorrang der Verhältnisse vor dem individuellen Verhalten ist in vielen Handlungsfeldern auch rechtlich in entsprechenden Gesetzesvorschriften fixiert worden, z. B. im Arbeitsschutz oder auch in den Vorgaben für die Förderung präventiver Maßnahmen durch die Krankenkassen. 

Primäre, sekundäre und tertiäre Prävention

Präventive Maßnahmen in Sachen Gesundheit und Krankheit werden schließlich auch noch weiter danach unterschieden, ob die betreffenden Menschen (noch) gesund sind oder bereits erkrankt sind oder eine Erkrankung gerade durchstanden haben. Die sogenannte „primäre“ (gesundheitliche) Prävention umfasst Maßnahmen für gesunde Menschen und Bevölkerungsgruppen, unabhängig davon, ob persönliche Risikofaktoren vorhanden sind oder nicht. Natürlich profitieren hier auch Menschen mit bestehenden Erkrankungen, die primäre Prävention spricht viele Menschen an, sozusagen ohne „Ansehen des Krankheitsstatus“. Die sogenannte „sekundäre“ Prävention umfasst Maßnahmen zur Ermittlung von Risikofaktorausprägungen, die zu Gesundheitsschäden führen können. Die „tertiäre“ Prävention bezieht sich auf Menschen mit und nach Erkrankungen und versucht, einer erneuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorzubeugen. Primäre, sekundäre und tertiäre Prävention können sich dabei immer sowohl auf Menschen als auch auf ihre Umgebung beziehen – auch wenn wir häufig zuerst an die individuelle Ebene denken. 

Primärpräventive Maßnahmen, die nicht zwischen den verschiedenen möglichen Risikostatuszuständen differenzieren, werden auch als „universale Prävention“ bezeichnet. Primärpräventive Maßnahmen, die gezielt Menschen mit definierten Risikoausprägungen erreichen wollen, werden auch als „selektive Prävention“ bezeichnet. Maßnahmen, die sich an besonderen Krankheitsbilder ausrichten, werden auch als „indizierte Prävention“ bezeichnet. Dies zusammengenommen ist die eine Seite der Medaille.

Gesundheitsförderung

Der Begriff der „Gesundheitsförderung“ bildet die zweite Seite ab. Etwas vereinfacht dargestellt, umfasst die Gesundheitsförderung Maßnahmen zur Stärkung/Verbesserung gesundheitlich positiver Faktoren sowohl in Bezug auf die individuelle Verhaltensebene als auch in Bezug auf die Umgebung oder die Verhältnisebene. Wiederum vereinfacht geht es in der gesundheitlichen Prävention um die Beeinflussung gesundheitlich negativer Zustände, Faktoren in der Gesundheitsförderung um die Stärkung, den Ausbau von gesundheitlich positiven Zuständen/Faktoren. Als die Weltgesundheitsorganisation dieses Konzept 1986 mit der Ottawa-Charta einführte, haben die meisten Praktiker*innen und auch Expert*innen diesen Unterschied nicht als besonders wesentlich wahrgenommen. Lange Zeit und z.T. auch heute werden beide Begriffe synonym verwendet. 

Auch wenn in der Praxis Prävention und Gesundheitsförderung miteinander kombiniert werden (als 2 Seiten einer Medaille) lohnt ein Blick auf den Unterschied: Gesundheitsförderung will die positiven Schutzfaktoren für Gesundheit (z. B. ein positives Selbstwertverständnis, eine gute Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern in der frühkindlichen Lebensphase, ein gutes Klassenklima in der Schule, wertschätzende Führungskräfte in der Arbeitswelt) zusätzlich stärken und weiter ausbauen. Positive Schutzfaktoren sind immer dann zusätzlich besonders bedeutsam, wenn gesundheitsbelastende Umgebungsfaktoren nur eingeschränkt beeinflusst werden können. Im besten Fall ergänzen sich Prävention und Gesundheitsförderung. Der Blick auf die „Feinheiten“ hilft, die eigenen Maßnahmen besser zu verstehen und ggf. zu ergänzen. 

Georg Breucker

Moderator der AG „Kinder sucht und psychisch erkrankter Eltern“ i. A. der Bundesregierung | bis Ende 2017 Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung im BKK Dachverband, Berlin

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