Postpartale Depression

Psychische Erkrankungen kurz erklärt

Bei der postpartalen Depression handelt es sich um eine depressive Erkrankung, die im Anschluss an eine Entbindung auftritt und eine häufige diesbezügliche Komplikation darstellt. Die Erkrankung kann weitreichende Folgen für die Mutter, das Kind sowie das gesamte Familiensystem haben und die Mutter-Kind-Interaktion erheblich beeinträchtigen.

Einleitung

Die postpartale oder „Wochenbett“-Depression gehört zu den depressiven Störungen. Depressive Störungen werden nach Symptomatik, Schweregrad, Verlauf und sonstiger Ausprägung eingeordnet. Sie treten als einzelne Episoden oder wiederholt („rezidivierend“) auf. Man unterscheidet leichte, mittelgradige und schwere Verläufe sowie Depressionen mit oder ohne psychotische Symptome.

Die ICD-11 wählt eine Zusatzkodierung, um den Zusammenhang der Depression mit der Schwangerschaft abzubilden, und definiert dabei ein Zeitfenster von vier bis sechs Wochen nach Entbindung als Postpartalzeit, während in der klinischen Praxis häufig von einer längeren Postpartalperiode von bis zu einem Jahr ausgegangen wird.

Vorkommen und Häufigkeit

Es wird davon ausgegangen, dass in westlichen Industrieländern 10 – 15 % aller Gebärenden an einer postpartalen Depression leiden. Ihr Rückfallrisiko bleibt im weiteren Verlauf auch nach der Postpartalphase erhöht. Für Frauen, bei denen es bereits in der Vorgeschichte zu depressiven Episoden gekommen ist, ist das Risiko, eine postpartale Depression zu entwickeln, etwa doppelt so hoch. Auch bei Vätern kann es zum Auftreten postpartaler Depressionen kommen.

Ursachen

Bei der Entstehung von Depressionen handelt es sich um ein „multifaktorielles“ Geschehen, an dem sowohl neurobiologische und hormonelle als auch psychosoziale Vulnerabilitätsfaktoren beteiligt sind. Hinsichtlich biologischer Faktoren wird bei der postpartalen Depression u. a.  von einer genetisch erhöhten Empfindlichkeit gegenüber hormonellen Veränderungen ausgegangen. Das Risiko für eine postpartale Depression gilt außerdem als erhöht u. a. bei psychischen Erkrankungen in der Vorgeschichte, konfliktreicher Paarbeziehung und geringer sozialer Unterstützung. Schwangerschafts-, Entbindungs- und Kind-bezogenen Stressoren können ebenfalls zum Auftreten einer postpartalen Depression beitragen.

Diagnostik

Die Diagnose der postpartalen Depression wird „klinisch“ gestellt. Das bedeutet, dass anhand der anamnestischen Angaben der Patientin, der fremdanamnestischen Auskünfte von Angehörigen und häufig auch beteiligten Geburtshelfern sowie der Beobachtung des Arztes unter Einbeziehung gezielter Explorationsfragen ein sogenannter „Psychopathologischer Befund“ erstellt wird.

Ergänzend kommen Selbstbeurteilungsverfahren zum Einsatz, wie zum Beispiel das Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) und – bezogen auf die Mutter-Kind-Bindung – der Postpartum Bonding Questionaire (PBQ).

Da es auch bei anderen psychischen und körperlichen Erkrankungen zu depressiven Symptomen kommen kann, ist eine gründliche differentialdiagnostische Abklärung erforderlich. Diese umfasst ergänzende anamnestische Fragen, zum Beispiel nach Vorerkrankungen und Medikamenten, eine körperliche Untersuchung, eine Blutabnahme und ein EKG. Auch eine MRT-Untersuchung des Schädels und ein EEG können je nach Konstellation erforderlich sein.

Eine besondere Bedeutung in der Depressionsdiagnostik kommt außerdem der Einschätzung des Suizidrisikos zu, indem das Thema Suizidalität offen angesprochen und mögliche Risikomerkmale abgefragt werden.

Differentialdiagnostisch ist die postpartale Depression u. a. vom sogenannten transienten postpartalen Stimmungstief („Baby-Blues“) abzugrenzen, welches als Hormon-assoziiert gilt und innerhalb weniger Tage spontan wieder abklingt.

Symptomatik

Wesentliche Symptome der Depression sind eine gedrückte Stimmung bis hin zu einer Gefühlsleere, außerdem Freudlosigkeit, Interessenverlust und Erschöpfung.

Außerdem kann es zu Konzentrationsstörungen, Vergeßlichkeit, gedanklichen Grübelkreisen, Selbstwertverlust, Gereiztheit und Schuldgefühlen kommen. Häufig treten auch Ein- und Durchschlafstörungen, Appetit- und Gewichtsverlust, körperliche Unruhe oder Verlangsamung, Libidoverlust und eine vermehrte Beschäftigung mit dem Thema Tod bis hin zu Suizidalität auf. In manchen Fällen kommt es zu wahnhaften Symptomen, z. B. zu einem Schuld- oder Verarmungswahn.Definitionsgemäß müssen die Symptome in einem Zeitraum von mindestens zwei Wochen annähernd täglich über die meiste Zeit des Tages auftreten.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen depressiven Symptomen zeigen sich bei der postpartalen Depression Störungsaspekte, die durch das Erleben des Säuglings sowie das Thema Mutterschaft gekennzeichnet sind wie etwa ambivalente oder negative Gefühle gegenüber dem Kind, Schuld- und Versagensgefühle als Mutter, Empfinden einer fehlenden Bindung und Empathie sowie eine mangelnde emotionale Verfügbarkeit für das Kind. Auch können auf das Kind bezogene quälende Zwangsgedanken sowie starke Angstsymptome auftreten.

Therapie

Es ist sinnvoll, die Behandlung der postpartalen Depression möglichst frühzeitig zu beginnen, um eine Entlastung sowohl der Mutter als auch der Mutter-Kind-Beziehung zu ermöglichen und diesbezüglich längerfristig schädigende Wirkungen zu vermeiden. Je nach Schwere der Erkrankung kann die Therapie ambulant oder stationär erfolgen, ggf. in einer Klinik mit Rooming-in-Möglichkeit. Eine wirksame Depressionsbehandlung beinhaltet mehrere therapeutische Säulen im Sinne einer multimodalen Therapie. In der Behandlung der postpartalen Depression kommt der Psychotherapie eine besonders wichtige Bedeutung zu. Auch psychoedukative und Interaktions-begleitende Therapieelemente können sehr hilfreich sein.

Während Schwangerschaft und Stillzeit sollte hinsichtlich einer medikamentösen antidepressiven Behandlung eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen, welche die individuelle Situation und das jeweilige Rückfallrisiko berücksichtigt. Grundsätzlich stehen dabei antidepressive Medikamente zur Verfügung, die auch während Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden können.

Im Behandlungsverlauf kommt der Einbeziehung und Aufklärung der Familienangehörigen eine wichtige Bedeutung zu, um die Betroffenen sowie ihre oft sehr verunsicherten und erschöpften Familiensysteme nachhaltig zu entlastenden.

Brit-Meike Fischer-Pinz

Fachärztin für Psychiatrie und -psychotherapie. Leitung des erwachsenenpsychiatrischen Teils der „Therapiestation für Kinder (0 bis 6 Jahre) und ihre Eltern“ in der Asklepios Klinik Harburg.

Quellenangaben

Literaturliste Postpartale Depression

  • L. Wolkenstein: Postpartale Depression, Fortschritte der Psychotherapie, Hogrefe, 1. Auflage 2023
  • S. Wortmann-Fleischer, G. Downing, C. Hornstein: Postpartale psychische Störungen, Verlag W. Kohlhammer, 2.,überarbeitete und erweiterte Auflage M. Adli/M. Hautzinger (Hrsg.): Praxishandbuch Depression, Urban & Fischer, 1. Auflage 2023, daraus:M. Adli: „Störungsbild und Symptomatik“, S. 3 - 7
  • L. Schilbach: „Diagnostik und Differentialdiagnostik der depressiven Störungen“, S. 19 - 27
  • C. Kühner: „Soziodemographische und soziale Ursachen“, S. 49 - 57
  • S. Köhler/H. Walter: „Biologische Grundlagen depressiver Erkrankungen“, S. 69 - 82
  • S. Lech/P. Buspavanich: „Epidemiologie der Depression“, S. 107 - 114
  • N. Bührsch: „Risikofaktoren – Schutzfaktoren“, S. 115 – 121
  • C. Kühner: Geschlechtsspezifische Aspekte, S. 123 - 132
  • M. Adli: „Therapieprinzipien, Therapierahmen, Therapieleitlinien“, S. 135 - 142
  • M. E. Keck: „Pharmakotherapie: Allgemeine Aspekte“, S. 143 - 147
  • E. Schramm/M. Berger: „Psychotherapie“, S. 228-236 in dgppn/U. Voderholzer: Therapie psychischer Erkrankungen State of the art, Urban & Fischer, 18. Auflage 2023
  • M. Berger/D. Von Calker/E.-L. Brakemeier/E. Schramm: „Affektive Störungen“ in M. Berger (Hrsg.): Psychische Erkrankungen Klinik und Therapie, Urban & Fischer, 4. Auflage 2012
  • O. Benkert/H. Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer, 9. Auflage 2013
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