„Ich habe schon damals viel emotional aufgefangen an Überforderung und Trauer“

Interview mit Conner

Der 26-Jährige Conner ist ein sogenannter „Young Carer“, ein junger Mensch, der sich um erkrankte Angehörige kümmert. Er ist mit einer Mutter aufgewachsen, die schon früh an Alzheimer erkrankt ist. Im Interview schildert er, wie es für ihn als Jugendlicher war, mit einer früh erkrankten Mutter zu leben und was ihm hilft, sein Leben trotz der großen Belastung zu meistern.

A: aufklaren: Wir wollen heute jemanden vorstellen, der ein sogenannter „Young Carer“ ist, der sich um Angehörige, meist die erkrankten Eltern, kümmert. 

Conner: Ich bin 26 Jahre alt und studiere Psychologie. Bei mir ist meine Mutter erkrankt an Alzheimer-Demenz. Meine Mutter ist mittlerweile 64 Jahr alt, ist aber schon wesentlich früher erkrankt. Die Diagnose kam aber erst vor drei Jahren, als alles schon offensichtlich war. Wir haben überlegt, wann das alles angefangen hat, wo schon etwas komisch mit ihr war, da war sie Anfang 50. 

A: aufklaren: Du meinst, man konnte das am Anfang nicht so einordnen?

Conner: Am Anfang sind das ganz subtile Sachen. Meine Mutter hatte erst auch die Diagnose Burnout und Depression und war deshalb auch in psychotherapeutischer Behandlung. Ich glaube, dass sie aufgrund ihrer Alzheimer-Erkrankung mit den ganzen Anforderungen des Lebens, vor allem auf der Arbeit, nicht mehr klargekommen ist. Das hat sie gestresst und da war dann die Diagnose Depression – die damals möglicherweise nicht falsch war - aber das Problem war damals schon ein anderes.

A: aufklaren: Das hat sich dann erst viele Jahre später herausgestellt. Du bist jetzt 26 und warst ja damals noch ein Jugendlicher. Kannst Du mal schildern, wie Du das erlebt hast?

“Vor allem habe ich Emotionsarbeit übernommen, weil meine Mutter nicht gut klargekommen ist.”

Conner: Als das bei meiner Mutter anfing, habe ich noch Zuhause gewohnt, habe mein Abi gemacht.  Im Rückblick sehe ich, dass ich schon damals viel übernommen habe, wie Aufgaben im Haushalt, weil meine Mama damit überfordert war. Vor allem habe ich Emotionsarbeit übernommen, weil meine Mutter nicht gut klargekommen ist. Das muss man sich mal vorstellen, wenn man plötzlich die einfachsten Dinge nicht mehr hinbekommt. Das ist ja für die Person auch schockierend. Und ich glaube, dass ich damals auch schon viel emotional aufgefangen habe an Überforderung und Trauer.

A: aufklaren: Da wusstet ihr aber noch nichts davon?

Conner: Nein, überhaupt nicht. Klar wurde das erst, als ich ausgezogen bin zum Studieren als ich 19 war. Wenn ich Zuhause zu Besuch war, da hat mich meine Mama fünf, sechs, sieben Mal gefragt, wann ich wieder zurück fahre. Da habe ich mir gedacht, das ist doch komisch. Auch beim Kochen war sie überfordert. Sie hat es nicht mehr geschafft, die richtigen Zutaten in die richtige Reihenfolge zu bringen oder sie hat vergessen, ob sie schon Salz reingemacht hat oder nicht. Ich war damals nur genervt davon, dass meine Mama mich zehnmal dieselben Sachen gefragt hat. Aber wir sind nicht auf die Idee gekommen, dass es Alzheimer sein könnte. Das kam erst, als meine Mutter Kribbeln in den Händen und Füßen bekam. Da gab es die Vermutung auf MS (Multiple Sklerose). Das heißt, wir sind mit ihr in die MS-Klinik gegangen und dort wurde dann auch eine MRT gemacht. Da ist dann aufgefallen, dass sich diese amyloiden Plaques gebildet haben, die typisch für Alzheimer sind. Dort haben sie dann gesagt, gehen Sie mal in die Alzheimer Ambulanz. Da ist das dann diagnostiziert worden.

A: aufklaren: Lebt deine Mutter heute noch Zuhause?

Conner: Nein, mittlerweile hat sich viel getan. Der Verlauf der Krankheit bei meiner Mutter war nach meiner Wahrnehmung sehr schnell. Da ist viele kaputtgegangen bei ihr. Mittlerweile kann sie nicht mehr eigenständig leben. Als mein Vater ins Krankenhaus musste, ist das ganze Kartenhaus der Pflege zusammengebrochen und meine Mutter kam erst in Kurzzeitpflege, dann in Langzeitpflege. Sie wohnt heute in einer Wohn-Pflege-Gemeinschaft.

A: aufklaren: Wie hast Du es geschafft, dein eigenes Leben zu führen? Hast Du dich deinen Eltern gegenüber sehr verpflichtet gefühlt? 

Conner: Ja, ich fühle mich immer noch total verpflichtet ihnen zu helfen. Auch weil ich nicht will, dass mein Vater als Hauptpflegeperson sonst zugrunde geht. Die Belastung, die mein Papa hat, ist enorm. Daher war bei mir immer das Gefühl, mehr helfen zu müssen, zu entlasten, mehr nach Hause zu fahren. Wenn ich dann wieder zurück zu meinem Studium kam, war ich immer krank. Ich war so belastet, so angestrengt von dieser Zeit, dass ich immer Tage gebraucht habe, um wieder klarzukommen.

A: aufklaren: Hast Du Dir dann irgendwann Unterstützung geholt?

Conner: Ich habe mir psychosoziale Beratung an der Uni gesucht. Das war für mich ungeheuer entlastend. Und ich bin ziemlich früh in Angehörigengruppen gegangen. Ich bin schon seit zweieinhalb Jahren in einer Angehörigengruppe der Alzheimer Gesellschaft in Hamburg, in einer Gruppe für Angehörige Jungerkrankter. In der Gruppe bin ich aber das einzige Kind. In der Gruppe sind sonst nur Ehepartner. Kurz danach bin ich noch einer zweiten Angehörigengruppe beigetreten, das sind die „Demenz-Buddies“ von Desideria in München. Da sind nur angehörige Kinder.

A: aufklaren:  Plant ihr auch in Hamburg so etwas zu gründen?

Conner: Die Alzheimer Gesellschaft versucht so etwas aufzubauen. Das schwierige ist wohl an die Kinder ranzukommen. Die Eltern sagen häufig, dass die Kinder keine Hilfe brauchen. Für die Kinder selbst ist es vielleicht auch ungewohnt sich Hilfe zu suchen, denn damit hat man in diesem Alter noch keine Erfahrung gemacht. Das ist für angehörige Kinder eine Hürde in eine Selbsthilfegruppe zu gehen oder sich darüber zu informieren. 

 “Ich habe früh erkannt, dass ich da ohne Hilfe nicht durchkommen würde.”

A: aufklaren:  Hast Du selbst mit anderen darüber geredet oder war das ein Tabu?

Conner: Also, für mich nicht, aber ich studiere auch Psychologie und mache gerade meinen Master in Psychotherapie. Da war für mich das Konzept, ich hole mir Hilfe und ich gehe in eine Angehörigengruppe nicht so fern. Ich habe früh erkannt, dass ich da ohne Hilfe nicht durchkommen würde. Für viele andere ist das aber nicht so eindeutig. 

A: aufklaren: Ist das für dich so eine Art Bewältigungsstrategie Psychologie zu studieren?

Conner: Nein, ich studiere das aus Interesse. Das gibt das Studium auch nicht her. Dafür muss man sich externe Hilfen holen. Sicherlich hat es bei mir die Einsicht gefördert, dass es wichtig ist, sich Hilfe zu holen. So habe ich auch früh gemerkt, dass ich mit der Situation überfordert war. Mittlerweile mache ich Psychotherapie deswegen. Es ist für mich ganz klar, dieser Prozess einen Elternteil zu verlieren, allein dieser Verlustprozess ist schon so unglaublich herausfordernd, dass ich das Gefühl habe, mit meiner eigenen Trauer alleine gar nicht klarzukommen. Das schaffe ich gar nicht.

A: aufklaren: Man muss sich auch klarmachen, das ist ja ein Verlust eines Menschen, der nicht an einem Tag stirbt, sondern es dauert Jahre.

Conner: Und man kann dabei zuschauen. Man sitzt ja daneben. Immer, wenn ich meine Mutter besuche, ist irgendwas schlechter. Es ist jedesmal so, dass irgendwas nicht mehr so gut funktioniert und dass irgendein Teil von meiner Mutter, die ich mein Leben lang kenne und die mich aufgezogen hat, von ihr fehlt. Und ein Problem an dieser Sache ist ja auch die fehlende Krankheitseinsicht. So kommt man auch nicht in einen Dialog. Ich kann meine Trauer mit meiner Mutter gar nicht besprechen. Dass wir uns da gegenseitig helfen, passiert ja gar nicht. Das heißt, ich muss das unabhängig von meiner Mutter machen.

“Über die Trauer zu sprechen, ist absolut essentiell. Das in sich hineinzufressen tut nicht gut.” 

A: aufklaren: Was würdest Du anderen raten, die in deiner Situation sind?

Conner: Darüber zu sprechen. Es muss ja nicht gleich eine Angehörigengruppe sein. Es können auch Freunde sein. Denn über diese Trauer zu sprechen, ist absolut essentiell. Das in sich hineinzufressen tut nicht gut. Um das auszusprechen, dafür sind Angehörigengruppen echt toll. Gerade mit den anderen Angehörigen zu sprechen, ist so viel wert. Denn die verstehen, worüber man spricht und können die Situation sofort nachvollziehen. Deshalb sind Angehörigengruppen so großartig, weil alle wissen, was gemeint ist. Wenn auch nicht so genau, weil sie noch an einer anderen Stelle der Krankheit sind oder eine andere Form der Demenz haben. Wie es ist ein angehöriges, pflegendes Kind zu sein, das verstehen aber alle.

A: aufklaren: Es hätte Dir sicher gut getan, wenn auch schon früher mal jemand nach Dir geguckt hätte.

Conner: Ganz sicher. Als Kind die Aufgabe zu übernehmen für einen Elternteil da zu sein, sei es durch Pflege oder emotionalen Beistand oder Aufgaben im Haushalt, um das als Kind oder Jugendlicher zu machen, ist es einfach zu früh. Man ist selbst noch in einem Lebensabschnitt, wo man seinen eigenen Weg finden und erwachsen werden will. In gewisser Weise wurde ich an der Stelle gezwungen schon viel früher erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen.

A: aufklaren: Das ist der springende Punkt, dass man so früh Verantwortung übernimmt und dass man sich nicht genug um sich selber kümmert. Wie hast Du das hingekriegt, dass Du doch weggegangen bist? 

Conner: Es war nie so, dass meine Eltern von mir gefordert hätten, dass ich Zuhause bleibe. Die haben immer gesagt, lebe dein Leben. Mach dein Ding. Ich habe auch nie das Gefühl gehabt meinen Eltern etwas zu schulden. Ich mache das im Endeffekt einfach nur aus Liebe, weil ich meine Eltern gerne habe und nicht ertragen kann, dass es Ihnen nicht gut geht. Das ist für mich meine Motivation dahinter. Aber irgendwann, habe ich gemerkt, mir geht es dabei schlecht. Ich habe nach vier, fünf Tagen zuhause gesagt, ich muss hier wieder weg.

A: aufklaren: Es geht ja auch um dich, Du musst ja dein Leben leben. Deine Eltern sind irgendwann nicht mehr da …

Conner: Dieser Spagat ist eben superschwer. Ich habe jetzt z.B. Klausurenphase und muss lernen, fühle mich aber verpflichtet mal wieder nach Hause zu fahren und nach meiner Mutter und meinem Vater zu schauen. Es geht aber nicht. Damit muss ich erstmal klarkommen, dass ich mich schlecht fühle, weil ich nicht bei meinen Eltern sein kann.

A: aufklaren: Deine Eltern akzeptieren das aber auch?

Conner: Total!

A: aufklaren: Was hat dir geholfen, deinen Weg zu gehen?

Conner: Für mich ist es wichtig darüber zu reden, sei es in den Angehörigengruppen, in meiner eigenen psychotherapeutischen Beratung oder im Interview. Mir ist es wichtig, dass andere Leute es hören und sich vielleicht selber Hilfe holen. Ich tue es aber auch für mich, weil mir das gut tut, darüber zu sprechen und in Kontakt zu kommen. Ich will es nicht mit mir alleine ausmachen oder mich vielleicht sogar für die Krankheit meiner Mutter schämen. Das tut mir nicht gut.

A: aufklaren: Hast Du Angst, dass Du selber diese Krankheit bekommst?

Conner: Absolut. Es ist auf jeden Fall eine Frage für mich, die mich extrem belastet. Wenn ich vielleicht mal Familie mit Kindern habe, da frage ich mich, erkranke ich dann auch? Ich weiß ja, wie es für mich als Kind ist. Das bekümmert mich, dass ich weiß, dass es möglicherweise bei mir auch kommen wird. Ich weiß natürlich, es ist neben der genetischen Frage auch eine Frage von anderen Umweltfaktoren. Deswegen achte ich auf mich und sorge dafür, dass es mir gutgeht, dass ich gesund lebe. Das sind alles Faktoren, die mit reinspielen. Natürlich weiß niemand, ob ich das bekomme oder nicht. Man könnte es auch genetisch untersuchen lassen. Aber ich habe für mich entschieden, ich möchte es gar nicht wissen.

A: aufklaren: Wird die Krankheit deiner Mutter auch deine berufliche Richtung beeinflussen?

Conner: Ja, tatsächlich möchte ich Psychotherapeut werden. Was ich daraus mitnehme ist, einfach aufmerksam sein. Weil gerade die jung an Alzheimer Erkrankten, kriegen am Anfang die Diagnose Depression oder so ähnlich. Das wird ganz lange übersehen, denn Alzheimer verbinden viele mit den alten Großeltern und nicht mit den 50-Jährigen, die noch mitten im Leben stehen und noch junge Kinder haben und arbeiten. Dabei gibt es so viele, die davon betroffen sind. Das nehme ich für mich mit, dass ich dafür sensibel bin. 

Conner

Conner ist 26 Jahre alt und studiert Psychologie. Er ist mit einer Mutter aufgewachsen, die an einer frühen Form von Alzheimer leidet. 

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