Ich fühlte mich nicht in Verbindung mit meinem Sohn

Gastbeitrag von Franziska

Als junge Mutter hat Franziska lange mit dem Gefühlen der Überforderung, Unzulänglichkeit und Depressivität als Mutter zu kämpfen. Hie schildert sie, welche Rolle ihr Aufwachsen in der DDR dabei gespielt hat und wie sie gelernt hat, damit umzugehen. 

Der Geburt meines Sohnes ging ein jahrelanger innerer Kampf voraus. Möchte ich ein Kind haben oder nicht? Mit Babys und kleinen Kindern konnte ich nie viel anfangen. Vor allem habe ich mir nicht zugetraut Mutter zu sein. Ein großes Hindernis war außerdem meine Selbständigkeit als Friseurin. Als ich mit meinem Mann Ende 2003 zusammenkam, war ich dabei meinen Salon zu eröffnen. Dass mein Mann einen ausgeprägten Kinderwunsch hat, wusste ich von Anfang an. Meine Unentschlossenheit stand zwischen uns und war immer wieder mal Anlass für Streit. Der Salon (und meine Kunden), das war für viele Jahre mein Baby. Ich konnte mir nicht vorstellen, länger zu pausieren, auch aus Angst, dass ich durch die Elternzeit meine Kunden verliere. Erzählten mir Kundinnen oder Freundinnen, dass sie schwanger sind, konnte ich mich nie darüber freuen. Sie erinnerten mich mit ihrer Botschaft an meine ungeklärte Frage. Das bereitete mir Unbehagen. 

Dank einer diagnostizierten „Mittelschweren Depres­sion“, die um meinen 40. Geburtstag begann und einer daraus resultierenden Verhaltenstherapie war ich in der Lage, meine Prioritäten zu verschieben. Das führte dazu, dass ich mich und meine Bedürfnisse wichtiger nehmen konnte als die meiner Kund*innen. So konnte ich mich auch dem Kinderthema öffnen. 

Im Juni 2016 war ich zum ersten Mal schwanger. Die Freude währte nicht lang. Das Ergebnis der Pränataldi­agnostik war eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für die Trisomien 13, 18 und 21. Mitte September hatte ich in der 18. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt. Der Tag, an dem ich erfuhr, dass unser Kind nicht mehr lebt, war schrecklich. Ich war noch nie so traurig. Drei Mo­nate später war ich schon wieder schwanger. In meiner zweiten Schwangerschaft fühlte ich mich, nachdem ich die kritischen ersten drei Monate inklusive Pränataldiag­nostik gut überstanden hatte, stark, stabil und zufrieden. Je runder ich wurde, umso mehr strahlte ich. Ich befand mich in einer Art stillen Vorfreude. 

„Ich sollte doch froh sein, dass ich in meinem Alter noch ein gesundes Kind bekommen habe.“

Mein Sohn kam im August 2017 per Kaiserschnitt auf die Welt – fünf Tage nach meinem 43. Geburtstag. Die erste Zeit mit ihm war stark geprägt von Unsicherheit, Sorgen, Ängsten, Überforderung und Kontrollverlust. Ich machte mir viele Gedanken darüber, ob er genügend trinkt und schläft. Beim Binden des Tragetuches hatte ich Angst, et­was falsch zu machen und ihm dadurch körperlich einen Schaden zuzufügen. Ich fing an, Excel-Tabellen zu führen, in die ich akribisch Still- und Schlafenszeiten eintrug. Da wir vor der Geburt einen Windel-frei-Kurs besuchten, gab es auch eine Tabelle dazu, wann wir ihn abgehalten haben. Der verzweifelte Versuch, wieder die Kontrolle über mein Leben und meinen Alltag zu erlangen, führte dazu, dass ich immer mehr weniger in der Lage war, auf meine mütterliche Intuition zu vertrauen. 

In den ersten drei Monaten war es ein großes Problem für mich, den ganzen Tag mit meinem Sohn allein zu sein. Da war eine schwer erträgliche, von mir nicht zu füllende Leere. „Wie soll ich diesen endlos erscheinenden Tag bloß herumbekommen?“, fragte ich mich oft. Aus der von mir erhofften Unterstützung durch meine Eltern wurde nichts. Durch ihre anfänglichen Besuche wurde meine Unsicherheit verstärkt. Nach ihrer Abreise ging es mir noch schlechter als vorher. 

Nach drei Monaten fing ich wieder an zu arbeiten. Ein bis zwei Kunden pro Tag – entweder vormittags oder nach­mittags. Das war einerseits gut, weil mir die Arbeit und der Kundenkontakt guttaten, andererseits führte es zu einer großen inneren Zerrissenheit. Es war nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich empfand es als sehr stressig, das Stillen mit den Kundenterminen in Einklang zu bringen. Das führte permanent zu einem schlechten Gewissen. 

„Die erste Zeit mit ihm war stark geprägt von Unsicherheit, Sorgen, Ängsten, Überforderung und Kontrollverlust.”

Mit der Zeit kamen immer häufiger negative Gedanken in mir auf. Ich begann mich zu fragen, was mit mir nicht stimmt. Ich fühlte mich nicht in Verbindung mit meinem Sohn. Ich war emotional erstarrt und in meinem Kopf gefangen. Eine postpartale Depression erschien mir wegen meiner Vorgeschichte zwar naheliegend, aber ich erkannte mich nicht gänzlich in den Symptombeschreibungen wieder, die ich recherchierte. Oft hörte ich von außen, dass es anderen Müttern bestimmt auch ähnlich geht. Ich fühlte mich nicht verstanden und es fiel mir schwer darüber mit anderen zu sprechen. Ich war bereit, mich als Mutter anzustrengen, aber ich wollte dabei nicht leiden. Manchmal wünschte ich mir, dass er nicht so süß und unkompliziert wäre. Hätte ich z. B. ein Schreikind, hätte ich eine Legitimation dafür, mich schlecht zu fühlen. So schämte ich mich und fühlte mich undankbar. So nach dem Motto: „Ich sollte doch froh sein, dass ich in meinem Alter noch ein gesundes Kind bekommen habe.“ 

Einen Tiefpunkt hatte ich erreicht, als sich in mir das Gefühl manifestierte, dass es meinem Mann und meinem Sohn ohne mich besser ginge. Ich war fest davon überzeugt, eine schlechte Mutter zu sein. Es kam immer wieder vor, dass ich mich selbst ins Gesicht geschlagen habe. Ich wollte mich dafür bestrafen, wenn ich meiner Meinung nach in Bezug auf meinen Sohn etwas falsch gemacht habe. Mein Mann signalisierte mir, dass er sich ernsthaft Sorgen um mich mache. Mir wurde klar, dass ich mir dringend Hilfe suchen muss. 

„Es kam immer wieder vor, dass ich mich selbst ins Gesicht geschlagen habe.”

Der Weg zur passenden Unterstützung war sehr holperig. Vom ersten Versuch kam ich erleichtert mit einem Rezept für ein stillverträgliches Antidepressivum nach Hause. Mein Mann war gegen die Kombi Stillen und Antidepressivum, weil er sich um eventuelle Nebenwirkungen des Medikaments bei meinem Sohn sorgte. Durch seine Bedenken war mir eine zum Stillen parallele Medikation nicht möglich. Ich wollte schließlich meinem Sohn auch keinen Schaden zufügen. Das Stillen aufzugeben, kam für mich nicht infrage. Das war etwas, was nur ich meinem Sohn geben konnte. Dies waren die wenigen Momente, in denen ich mich ihm zumindest körperlich nahe fühlen konnte.

Eine Rückkehr zu meiner Verhaltenstherapeutin brachte mir nur kurzfristig eine leichte Besserung. Mein wichtigster Meilenstein, um aus meiner postpartalen Depression herauszukommen, war ein zehnwöchiger Aufenthalt in einer Tagesklinik. Hier war ich gemeinsam mit meinem Sohn, der zu dem Zeitpunkt ein knappes Jahr alt war. Dort wurde ich medikamentös eingestellt (ich hatte kurz vorher abgestillt, um Medikamente nehmen zu können) und konnte mich mit ähnlich betroffenen Müttern aus­tauschen.

Zu meinem persönlichen Highlight der Woche entwickelte sich die wöchentliche Visite, in der mir und meinem Sohn fünf bis sechs Klinikmitarbeiter wohlgemerkt auf dem Boden gegenübersaßen. Eines Tages kam mir nach der Visite der Gedanke, dass diese Fachkräfte mein persönliches Trainerteam sind, die nur das Beste in mir als Mutter erwecken wollen. Diese Idee gefiel mir und half mir dabei, mich auf dieses stationäre Setting einzulassen. Es hat sich gelohnt. Ich hatte mir vorgenommen, mit dem vergangenen ersten Lebensjahr meines Sohnes meinen Frieden zu schließen und mehr Sicherheit in meiner Mutterrolle zu finden. Beides gelang mir. Im Anschluss ergab sich eine ambulante Mutter-Kind-Therapie. 

„Eine Erklärung, die ich für meine postpartale Erkrankung gefunden habe, liegt in meiner eigenen Kindheit.”

Zwischen mir und einer Mutter, die ich in der Klinik kennenlernte, entwickelte sich eine bedeutsame Freundschaft. Wir waren und sind unsere ganz persönliche kleine Selbsthilfegruppe. Ihr kann ich meine schwärzesten Gedanken anvertrauen, ohne Angst zu haben, dafür verurteilt zu werden. An mir zu arbeiten, um in der Lage zu sein, mit meinem Sohn in Verbindung sein zu können, war eine harte und tränenreiche Arbeit. Eine Erklärung, die ich für meine postpartale Erkrankung gefunden habe, liegt in meiner eigenen Kindheit. Ich bin 1974 in der ehemaligen DDR geboren. Mit vier Monaten kam ich in die Krippe. Üblich war es zu der Zeit mit drei Monaten. Meine Mutter nahm damals vier Wochen ihres Urlaubs, damit sie mit mir noch einen Monat länger zu Hause bleiben konnte. Beim allerersten Termin bei der Mutter-Kind-Therapeutin deckte diese meinen wunden Punkt auf. 

Ehemalige zu junge Krippenkinder reagieren mit emotionalen oder körperlichen Problemen auf Elternschaft 

Ich recherchierte danach zum Thema „Krippe in der DDR“ und wurde bald fündig. Als ich in einem Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung auf folgende Passage stieß: „Zwei Drittel der Interviewten, darunter wiederum besonders die ehemals „jungen“ Krippenkinder, reagierten auf die existenzielle Neuerfahrung der eigenen Elternschaft mit erheblichen seelischen, psychosomatischen oder körperlichen Beschwerden. Auch unter Berücksichtigung aktueller Belastungen verstanden wir das als Ausdruck der Reaktivierung früher Überforderung und schmerzhafter Erfahrungen.“, war das für mich wie eine Offenbarung. Da habe ich mich wiedererkannt. Ich hatte endlich eine Erklärung gefunden. Dieses Verständnis hat mir geholfen, mit mir selbst gnädiger zu sein. 

Ein wichtiger Aspekt bei dem Entstehen der Bindung zwischen mir und meinem Sohn war seine sprachliche Entwicklung. Als er ca. 21 Monate alt war, tat sich bei ihm verbal sehr viel. Mit jedem Wort und jedem Satz, die er mehr sprach, konnte ich mich weniger in mein negatives Gedankenkarussel zurückziehen. Er forderte damit meine Präsenz ein. 

Es fällt mir immer noch nicht leicht, mit meinem Sohn einen ganzen Tag oder ein ganzes Wochenende allein zu verbringen. Mich ganz auf ihn einzulassen und mich ihm emotional komplett zu öffnen, gelingt nicht immer. Manchmal, wenn ich einen schlechten Tag habe, tauchen unschöne Gedanken auf, wie „Er hätte eine bessere Mutter als mich verdient.“ Es gibt aber diese innigen Momente zwischen uns, wenn ich ihm abends im Bett vorlese und wir kuscheln. Da fühle ich mich mit ihm in Verbindung und bin einfach nur glücklich, dass es ihn gibt. Egal wie dreckig es mir auch ging, ich habe nie bereut, ihn bekommen zu haben. Dafür bin ich dankbar.

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