„Ich bin manchmal nur ein wandelnder Wohlfühlfaktor“
Hella Jenkner begleitet seit über zehn Jahren Umgänge. Im Interview berichtet die Diplom-Pädagogin über ihre Erfahrungen
Hella Jenkner
A: Frau, Jenkner Sie sind seit über zehn Jahren bei der Vereinigung Pestalozzi tätig und verantworten dort die Koordination für die begleiteten Umgänge. Was genau heißt eigentlich „begleiteter Umgang“ – ist das ein juristischer Begriff wie Sorgerecht?
Hella Jenkner: Begleiteter Umgang – das ist sowohl ein pädagogischer Begriff als auch ein Begriff im Familienrecht. Es wird sogar noch unterschieden zwischen begleitetem und betreutem Umgang – wir machen diese Unterscheidung nicht. Wir fassen das alles unter begleitetem Umgang zusammen. Um Sorgerechtsstreitigkeiten geht es bei uns gar nicht. Sorgerecht und Umgangsrecht – das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Auch nicht-sorgeberechtigte Elternteile haben Umgangsrecht. Auch die Kinder haben das Recht mit ihren Elternteilen Umgang zu haben, egal ob diese sorgeberechtigt sind oder nicht.
A: Wann und in welchen Situationen wird ein begleiteter Umgang installiert?
Hella Jenkner: Begleitete Umgänge werden dann installiert, wenn die Eltern in irgendeiner Form nicht in der Lage sind, einen guten Umgang zu den Kindern zu haben – häufig hat das mit der „Hochstrittigkeit“ der Eltern zu tun. In einem solchen Fall können die Eltern sich an das Jugendamt wenden. Neben den Hochstrittigen gibt es begleitete Umgänge in einem erweiterten Kontext: Wenn es um Kindeswohlgefährdung geht. Wenn etwa ein Elternteil aufgrund einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung nicht gut in der Lage ist, auf das Wohl des Kindes zu achten, sich auf die Bedürfnisse des Kindes zu fokussieren oder Gefahren nicht richtig einschätzen kann. Dann kann das Jugendamt oder ein Familiengericht entscheiden, dass dieser Elternteil zum Kind zwar Kontakt haben darf, aber nur wenn eine dritte Person dabei ist. Die Aufträge, die wir haben, die kommen alle über das Jugendamt – entweder weil die Leute sich selber dort gemeldet haben oder es ist eine Entscheidung vom Gericht. Wenn zum Beispiel ein Kind in Obhut genommen wurde, aufgrund einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung einer Mutter. Das ist sehr unterschiedlich.
A: Die Kinder leben offensichtlich nicht bei ihrem Elternteil, mit dem sie betreuten Umgang haben. Wo leben die Kinder eigentlich?
Hella Jenkner: Es kommt darauf an. Entweder sie leben bei einem gesunden Elternteil oder in Pflegefamilien, in sozialpädagogischen Lebensgemeinschaften oder familien-analogen Wohngruppen.
A: Was ist dem vorausgegangen? Warum leben die Kinder nicht in ihren Ursprungsfamilien?
Hella Jenkner: Kinder leben dann nicht mehr in ihren Ursprungsfamilien, wenn die Herkunftseltern nicht in der Lage sind, sich ausreichend gut um ihre Kinder zu kümmern. Psychische Erkrankung kann ein Grund sein oder zum Beispiel auch unzureichende Erziehungskompetenz oder Überforderung.
A: Und wenn nun ein begleiteter Umgang vereinbart wurde. Wo begegnen sich Eltern und Kinder?
Hella Jenkner: Das hängt davon ab, wie der Kontext ist. Wenn es um Treffen mit Säuglingen geht, findet das meist in unseren Räumlichkeiten statt. Wir haben einen Raum, der kindgerecht eingerichtet ist. Die Umgänge können auch draußen und an verschiedensten Orten stattfinden. Je nach Jahreszeit und je nach Alter des Kindes. Ich sage oft zu den Eltern: 'Es geht darum, dass Sie und ihr Kind eine gute Zeit haben, aber im Fokus steht dass das Kind'. Wenn aber ein Elternteil seinem Kind die ganze Zeit Spielangebote macht, bei denen das Kind nur mit den Schultern zuckt, dann fühlt sich die Mutter oder der Vater zwar ganz toll, aber da muss man dann sagen: 'Ich glaube, für das nächste Mal versuchen wir mal etwas anderes'.
A: Was genau ist Ihre Rolle bei den Umgängen? Spielen Sie mit, kontrollieren Sie, müssen Sie intervenieren?
Hella Jenkner: Das ist ganz häufig alles in einem. Bei manchen Umgängen ist es notwendig, dass man eine Mutter dazu anleitet, wie man ein Baby hält. In anderen Kontexten kann es sein, dass man mitspielt und die Eltern dezent darauf hinweisen muss, wenn ihr Verhalten an dieser Stelle nicht hingehört. Es gibt auch Umgänge, da versuche ich mich so klein und unsichtbar wie möglich zu machen. Da muss ich nicht intervenieren, weil es einen guten Kontakt zwischen Kind und Vater oder Mutter gibt - selbst wenn es nach meinen pädagogischen Ansprüchen nicht optimal läuft, aber das tun ja ganz viele Eltern nicht. Wenn es um langfristige Begleitung geht, sagen die Kinder oft: 'Ich möchte, dass du dabei bist, weil es mir ein gutes Gefühl gibt'.
Die Kinder sind dann zwar unbeschwert mit ihren Eltern zugange, aber trotzdem wünschen sich die Kinder, dass jemand dabei ist. Bei Fällen, die ich seit Jahren begleite, bin ich fester Bestandteil dieses Kontexts. Dann machen wir auch mal einen Ausflug zusammen. Dann bin ich dabei, interveniere aber kaum, kontrolliere nicht, ich bin manchmal nur ein wandelnder Wohlfühl-faktor.
A: Warum fällt des diesen Familien so schwer, einen guten Umgang mit ihren Kindern zu haben und welche Relevanz haben psychische Erkrankungen dabei?
Hella Jenkner: Psychische Erkrankung ist nicht per se ein Umgangsausschlusskriterium und nicht grundsätzlich ein Kriterium für begleitete Umgänge – nur dann, wenn das Wohl des Kindes nicht gewährleistet ist. Aber eine Mutter oder ein Vater, der oder die gerade in einer psychotischen Phase ist und suizidale Stimmen hört, kann ein unbegleiteter Umgang gefährlich werden. Bei einer Persönlichkeitsstörung – alles, was zum Kontext Schizophrenie gehört, gibt es Elternteile, die wenn sie in einer akuten psychotischen Phase sind und wenig oder gar keine Krankheitseinsicht haben, werden von der Erkrankung daran gehindert, eine „gute Mutter“ oder Vater zu sein. Oft ist eine psychische Erkrankung die tiefliegende Erkrankung und es gibt noch eine Sekundärerkrankung – das ist in den meisten Fällen Sucht. Das kann Alkohol- oder anderer Substanzmissbrauch sein. Was Eltern mit psychischen Erkrankungen ganz häufig schwer fällt: Eine verlässliche Alltagsstruktur aufzubauen und einzuhalten, ihre Kinder nicht nur körperlich - im Sinne von Essen und Kleidung und Heizung zu versorgen-, sondern emotional für die Kinder verfügbar zu sein.
Der Elternteil in der Krise oder mit einer nicht-behandelten und sich immer mehr chronifizierenden Depression ist beispielsweise nicht in der Lage, für das Kind emotional verfügbar zu sein. Sie bekommen dann im Groben eine Tagesstruktur hin, aber da ist keine emotionale Versorgung für das Kind und vielleicht sogar noch weniger. Bei Suchterkrankung kommt hinzu, dass häufig Geldschwierigkeiten auftreten. Wenn ein Elternteil sich regelmäßig oder dauerhaft betäubt, ist unter Umständen sogar eine Gefahr für das Kind.
A: Liegt ihr Fokus auf der Stabilisierung der Eltern? Läuft neben dem Umgang eine Elternberatung?
Hella Jenkner: Ja, in vielen Fällen ist das so – gerade, wenn es um die ganz Kleinen geht. Dann wird es zumindest angeboten. Es ist sehr unterschiedlich, ob Eltern das annehmen. Wir kommunizieren wertschätzend, aber am Ende das Tages bin ich doch die Frau, die auch sagt: ‚So an dieser Stelle ist Schluss‘. Dann ist es schwer, von der gleichen Person beraten zu werden. Es wäre eigentlich gut, wenn man grundsätzlich jemanden hätte, der die Umgänge begleitet und eine andere Person, die diese Elterngespräche führt oder die Elternberatung macht. Das ist aber kaum möglich, dafür gibt es zu wenig Stunden, dafür gibt es zu wenig Geld vom Jugendamt, könnte man sagen. Umgang und Elternberatung kann in bestimmten Kontexten aber auch gut funktionieren. Wenn ich merke, dass ich zu einer psychisch kranken Mutter trotzdem einen guten Draht finde, und sie nicht so im Widerstand ist, kann ich sowohl den Umgang gut begleiten, sie dort anleiten und auch korrigieren und ihr aber auch danach ein Gespräch anbieten.
A: Wie nehmen die Eltern ihr Angebot an?
Hella Jenkner: Es ist sehr unterschiedlich, wie Menschen das annehmen oder gegebenenfalls abwehren. Wenn Elternteile sich ungerecht und unfair behandelt fühlen vom „System Jugendamt" oder vom Familiengericht. Sie können mich dann nicht als Unterstützung und Brücke ansehen. Ich versuche in einem Vorgespräch einem Elternteil schonend zu sagen: 'Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie schwierig ist, aber es gibt gute Gründe von Seiten des Jugendamtes, das so entschieden wurde und die Entscheidung, die teile ich, möchte Ihnen trotzdem meine Hilfe anbieten'. Ich sehe mich in einer Brückenfunktion.
„Es ist sehr unterschiedlich, wie Menschen das annehmen“
A: Wie läuft es ab, wenn Eltern Sie in Ihrer Brückenfunktion akzeptieren? Erleben Sie gelungene Geschichten?
Hella Jenkner: Wenn Eltern wirklich interessiert sind an dem Kind, gibt es auch gelungene Geschichten. Bei Hochstrittigkeit ist die Chance eher gering. Im Kontext von psychischer Erkrankung kann das sein, dass das Kind mehr Zeit bei dem gesunden Elternteil verbringt. Es kommt schon vor, dass Eltern dann in der Lage sind, ohne Unterstützung und Begleitung mit ihren Kindern umzugehen. Es kann auch der Auftrag sein, einer Mutter mit einem postnatalen Depression, die also nach der Geburt eine schwerwiegende Depression bekommen hat und sich in eine Klinik begeben hat und Monate lang nicht da war, zu helfen, dass sie wieder in Kontakt mit ihrem Kind kommt. Der Auftrag würde auch übers Jugendamt kommen, die Umgänge würden ziemlich häufig stattfinden. Die Mutter hat dann die ersten Monate ihres Kindes verpasst, es war aber eine richtige und gute Entscheidung, sich erstmal gut um sich zu kümmern und dann als möglichst stabile Mutter in den Kontakt mit dem Kind zu kommen.
A: Kommt es vor, dass Sie entscheiden, dass der Umgang ausgesetzt werden sollte? Wann entscheiden Sie so?
Hella Jenkner: Gerade wenn es um Persönlichkeitsstörung geht – geht es häufig darum, wie ist das Maß das Umgangs, dass es für das Kind nicht schädigend ist. Manchmal muss man sagen, dass Umgänge abgebrochen werden, ich mich an das Jugendamt wende und mitteile, dass die Mutter oder der Vater einen so schlechten Eindruck macht – ich möchte das hier nicht verantworten – weder fürs Kind noch für mich. Das Jugendamt kann für eine Zeit sagen, es finden für eine gewisse Zeit keine Umgänge mehr statt. Einen Umgangsausschluss kann nur das Familiengericht bestimmen. Dazu kann sich das Jugendamt an das Familiengericht wenden, wenn etwa eine Mutter Stimmen hört, die ihr befehlen, Menschen zu töten und ein Psychiater das bestätigt, dann kann ein Familiengericht den Umgang für z.B. ein halbes Jahr oder länger verbieten.
A: Warum sollte ein Kind in Kontakt mit seinen Eltern bleiben?
Hella Jenkner: Für die Identitätsentwicklung und -bildung ist es für alle Menschen wichtig, zu wissen, wer die Eltern sind. Es ist wichtig für Kinder beispielsweise zu verstehen, 'Warum lebe ich in einer Pflegefamilie? Warum fühle ich mich manchmal nicht so zugehörig?' Im pädagogischen Bereich heißt das Biographie-Arbeit. Dass die Kinder verstehen: 'Meine Eltern kümmern sich nicht um mich, aber das hat nichts mit mir zu tun'. Dass sie vielleicht sagen: 'Meine Mutter war eine gute Mutter, weil sie wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht für mich gesorgt hat'. Deswegen ist es wichtig, in Kontakt zu bleiben.
Das Interview führte Hanna Berster
Hella Jenker
Sie arbeitet als Diplom-Pädagoginseit über zehn Jahren im Bereich "Begleiteter Umgang". Sie ist zudem Kinderschutzfachkraft und Paartherapeutin. Ihr Schwerpunkt sind begleitete Umgänge mit psychisch erkrankten Eltern.