Es bedarf viel an Psycho-Edukation
ProChild unterstützt Mütter mit einer Borderline-Störung bei der Erziehung
Interview mit Dr. Charlotte Rosenbach
Frau Dr. Rosenbach, Sie haben das Projekt ProChild mitentwickelt. An wen richtet sich das Angebot?
Dr. Charlotte Rosenbach: Das Projekt ProChild steht für „Prävention von Misshandlung und Förderung der psychischen Gesundheit bei Kindern von Müttern mit Borderline-Persönlichkeitsstörung“. Gestartet sind wir im Frühjahr 2019 und haben eine vierjährige Laufzeit bis 2023. Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Welche Ziele verfolgt das Projekt?
Dr. Charlotte Rosenbach: Unser Ziel ist es, Mütter mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Unsere verschiedenen Teilprojekte sind an den Universitäten in Bochum, Bremen und Berlin angesiedelt und haben jeweils andere Schwerpunkte.
Was wird in den Teilprojekten jeweils untersucht?
Dr. Charlotte Rosenbach: Hier in Berlin untersuchen wir, ob das Training zur Förderung der Erziehungskompetenz funktioniert. Über Fragebögen, Interaktionsbeobachtungen oder Interviews gucken wir uns die Erziehungskompetenz der Mutter vor dem Training, direkt danach und sechs Monate später an. Unsere Kolleg*innen in Bochum prüfen, ob sich die Emotionsregulation und die psychische Gesundheit der Kinder durch das Training verbessern. Hier wird auch untersucht, ob sich bereits epigenetische Veränderungen abzeichnen (Teilprojekt 4). Das Teilprojekt 3 sitzt in Bremen und schaut sich an, inwieweit sich die Mutter-Kind-Dyaden gestalten und welchen Effekt das Training auf diese Dyaden hat. Zuletzt gibt es noch das Teilprojekt 5, das auch an der FU Berlin durchgeführt wird. Hier werden die Kooperationsabläufe zwischen den Hilfesystemen analysiert. Es wird geschaut, wie die Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitswesen und den Müttern funktionieren.
Was genau war der Anlass, ProChild zu starten?
Dr. Charlotte Rosenbach: Die Idee war schon länger in der Schublade. In der Erwachsenentherapie fallen die Kinder oft aus dem Raster, sie werden von Erwachsenenpsychotherapeut*innen nicht mitgedacht. Uns wurde klar, dass wir systematisch untersuchen müssen, ob das Training funktioniert. Dafür braucht es Geld und eine Förderung. So ist ProChild inklusive der Kooperation mit den anderen Standorten entstanden.
Wie genau ist das Mütter-Training aufgebaut?
Dr. Charlotte Rosenbach: Das Training richtet sich an Mütter mit kleinen Kindern zwischen sechs Monaten und sechs Jahren. So kann früh geschaut werden, wie die Mutter ihr Erziehungsverhalten verbessern kann. In einer Gruppe kommen vier bis sechs Frauen zusammen. Das Training besteht aus 12 Sitzungen zu verschiedenen Themen. Zu den Inhalten zählen das Erkennen kindlicher Grundbedürfnisse oder Achtsamkeit. Auch der Umgang mit Stress und Konflikten wird thematisiert: Diese Inhalte werden über Rollenspiele vertieft. Mit Hilfe von Hausaufgaben üben die Mütter das neu Erlernte in der Zeit zwischen zwei Sitzungen mit ihren Kindern. Ihre Erfahrungen bringen sie dann in die nächste Sitzung mit.
Stichwort „Bindung“ - wie gelingt es Müttern mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung eine Bindung zu ihrem Nachwuchs aufzubauen?
Dr. Charlotte Rosenbach: Das ist schwierig für die Frauen. Viele von ihnen haben in ihrer Kindheit keine Grundlagen für eine Bindungsstruktur erfahren. So etwas wie Nähe und Wärme oder eine unmittelbare Befriedigung der Grundbedürfnisse hat nicht stattgefunden. Man sagt, einer der Hauptrisikofaktoren für eine Borderline- Persönlichkeitsstörung ist ein invalidierendes Umfeld. Das heißt, dass das Kind nicht so angenommen wird, wie es ist. Es wird immer wieder in den Gefühlen und im Verhalten abgewertet. Sie erleben damit also genau das, was keine sichere Bindung ermöglicht. Wenn die Mütter zu uns kommen, wollen sie es anders machen, als sie es in ihrer Kindheit erfahren haben. Dafür fehlen ihnen jedoch die Kompetenzen. Die hohe Motivation, die die Mütter zum Training mitbringen, ist das Futter dafür, dass es ihnen gelingt, sichere Strukturen zu ihren Kindern aufzubauen.
Was können für Impulse und Angebote gemacht werden, damit eine Bindung zwischen Mutter und Kind gelingen kann?
Dr. Charlotte Rosenbach: Es bedarf viel an Psycho-Edukation, viel Erklärung und das Beibringen von Grundlagen. Das geschieht in den Gruppen, in denen die Frauen ausprobieren, üben, protokollieren und wieder mitbringen. Dabei muss man ganz niedrigschwellige Ziele setzen.
Ist es für die Frauen eine Erleichterung oder eine Belastung, dass Sie ihr Trainings in Gruppen durchführen?
Dr. Charlotte Rosenbach: Es ist für die Mütter eine große Erleichterung, mit Frauen dazusitzen, die ähnliche Probleme haben. Sie müssen sich nicht schämen, wenn sie sagen: Ich hasse es manchmal, Mutter zu sein!
Sie haben ihr Projekt evaluiert - welche Erkenntnisse konnten Sie bisher gewinnen?
Dr. Charlotte Rosenbach: Von der Studie selbst kann ich noch nichts berichten, denn die Evaluation findet zum Ende des Projektes mit allen Daten statt. Wir haben jedoch schon 2016 einen Artikel zu den ersten Eindrücken vom Training publiziert. Dabei haben wir Rückmeldungen von den Trainer*innen und Müttern aufgegriffen, welche durchweg positiv waren. Die Mütter, die das Training anfangen, bringen es in der Regel auch zu Ende, weil die Motivation, etwas ändern zu wollen, sehr groß ist. Das liegt auch daran, dass die Gruppensituation sehr hilfreich ist. Das äußert sich in der Praxis mit Aussagen wie: „Das Zähneputzen funktioniert jetzt abends viel besser, wir schreien uns nicht mehr an.“ Das wirkt auf uns selbstverständlich, aber das ist ein erster Schritt hin zu einem an deren Umgang miteinander.
Was raten Sie Fachkräften für ihren praktischen Alltag für die Unterstützung solcher Familien?
Dr. Charlotte Rosenbach: Keine Berührungsängste haben, Fragen stellen, hinschauen. Gerade bei einer Vermutung, dass ein Elternteil eine Borderline-Persönlichkeitsstörung haben könnte, einen Mittelweg zwischen Wertschätzung und Hilfeangebot finden. Es ist ein Austarieren. Zwar brauchen diese Menschen Hilfe, sie wollen aber auch nicht zu sehr kritisiert werden. Als Trainer*innen machen wir gute Erfahrungen mit dem Entpathologisieren. Nicht alles, was die Frauen machen, ist schlimm. Sie machen auch ganz viel gut! Ihre Stärken daher auch betonen und ebenso darauf hinweisen, dass nicht alles, was anders ist, pathologisch ist.
Was glauben Sie, was es für Kinder von sucht- und/ oder psychisch erkrankten Eltern in Zukunft braucht?
Dr. Charlotte Rosenbach: Es braucht viel mehr Aufmerksamkeit in allen Professionen für dieses Thema. Ob das Hebammen, Gynäkolog*innen, Ärzt*innen, Kindergärt-ner*innen, das Jugendamt, Psychotherapeut*innen für Erwachsene und Kinder sind, es braucht den Appell „Denkt die Kinder mit“. Um diese Kinder besser unterstützen zu können, benötigen wir Angebote, die an unterschiedlichen Punkten ansetzen und die ganze Familie im Blick haben. Damit das gelingt, brauchen wir niedrigschwellige Strukturen sowie eine gute interdisziplinäre Vernetzung. Es muss ein Netzwerk geben, wo man andocken kann, wenn man Unterstützung braucht.
Charlotte Rosenbach
Universität Berlin, Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie, Diplom-Psychologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei
ProChild.
Hinweis
Fachkräfte, die betroffene Mütter vermitteln wollen, können sich melden bei: prochild@psychologie.fu-berlin.de