Ernährung hat einen großen Einfluss auf die Psyche
Depressionen und ADHS können um bis zu 30 Prozent verbessert werden
Dr. Matthias Riedl
A: Welche Auswirkungen können psychische Erkrankungen auf das Ernährungsverhalten von Menschen haben?
Dr. Matthias Riedl: Die Auswahl unserer Nahrungsmittel wird von unserem Gehirn bestimmt. Da spielen nicht nur Reize wie Durst und Hunger eine Rolle, auch optische oder akustische oder auch Geruchsreize können einen Anreiz zur Nahrungsaufnahme darstellen. Wir sprechen dann von Augen-, Gehör- oder Geruchshunger. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei auch der Seelenhunger. Dieser kann
“Schlechte Ernährungsgewohnheiten können eine Depression verstärken.”
z.B. bei Depressionen sehr stark erhöht sein. Menschen neigen dazu ihre seelische Verfassung mit Nahrungsmitteln zu manipulieren. Gerade bei der Depression ist die Beeinflussung in beide Richtungen groß. Einerseits führt eine Depression eher dazu, schlechte Laune, Traurigkeit und Einsamkeit mit Essen zu manipulieren. Andererseits führen Snacks mit viel Zucker, ohne Ballaststoffe und wenig Gemüse zu einem traurigen Grundgefühl. Mit anderen Worten: Schlechte Ernährungsgewohnheiten können eine Depression verstärken. Andersherum fällt bei einer Depression die Kontrolle des Essverhaltens schwerer und gerade depressive Menschen geraten oft in einen Teufelskreis von Fehlverhalten durch den Griff zu schnellen Kohlenhydraten und Snacks. Diese wiederum verstärken Übergewicht, Übergewicht verstärkt die chronische Entzündung im Körper und diese wiederum Mikroentzündungen im Gehirn. Wir gehen derzeit davon aus, dass diese Mikroinflammationen eine nicht unwesentliche Rolle bei der Depression spielen.
Bei ADHS ist insbesondere die Behandlung mit Ritalin, das zur Appetitlosigkeit führt, ein großes Problem. Wir sehen bei uns im „Medicum“ Hamburg unterernährte junge Menschen, die gerade besonders solche Nahrungsmittel bevorzugen, die sie aus den Medien kennen und die in der westlichen Welt propagiert werden: Süßigkeiten, Minisalamis, Fastfood. Meistens sind die Eltern froh, dass überhaupt etwas gegessen wird, aber gesund ist das natürlich nicht.
A: Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen Ernährung und psychischen Erkrankungen generell?
Dr. Matthias Riedl: Es gibt vielfältige Wechselwirkungen zwischen Ernährung und psychischen Erkrankungen, wie bereits beschrieben. Wir wissen aus dem Tierversuch, dass Snackessen Mäuse ängstlicher und trauriger macht. Sie ziehen sich im Sozialverhalten zurück und bewegen sich weniger. Ähnliches kann man auch bei unserer Jugend feststellen. Umgekehrt kann gesundes Essen sogar die Schulleistung messbar verbessern. In einem Versuch konnte dargestellt werden, dass durch die Umstellung auf eine optimierte pflanzenbasierte Ernährung die Schulleistung um bis zu 50 Prozent besser ausfiel, als das bei ungesundem Essen der Fall war.
Bei psychischen Erkrankungen, z.B. bei Psychosen kann schon die Grunderkrankung den geregelten Tagesablauf mit Einkaufen, Zubereiten von Nahrungsmitteln so erheblich stören, dass die Menschen unter einer wesentlichen Fehlernährung leiden.
“Es gibt vielfältige Wechselwirkungen zwischen Psyche und Ernährung.”
Andererseits wird in der Forschung immer klarer, dass in der westlichen Ernährung ein Mangel an Omega-Drei-Fettsäuren herrscht, was den Krankheitsverlauf von Psychosen, ADHS und Depressionen verstärken kann. Ebenso zeigt sich aus Studien, dass die Empathie, also das Einfühlungsvermögen, seit den 90er Jahren abgenommen hat. Gemessen wurde dieses bei Studenten. Die Abnahme war kontinuierlich und wird mit einem Mangel an Omega-Drei-Fettsäuren, sekundären Pflanzenstoffen und Magnesium aus Nüssen und Samen in Verbindung gebracht. Es gibt also vielfältige Wechselwirkungen zwischen Psyche und Ernährung.
A: Welchen Stellenwert nimmt Ernährungsberatung und -begleitung bei psychischen Erkrankungen ein?
Dr. Matthias Riedl: Aus den oben genannten Gründen wird deutlich, dass die Ernährungstherapie einen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf von psychischen Krankheiten haben kann. Studien zeigen deutlich in die Richtung – sowohl die Tier- als auch die Menschenstudien. Empirisch gehen wir davon aus, dass sowohl Depressionen als auch ADHS um bis zu 30 Prozent gebessert werden können. Eingesetzt werden kann hier eine antientzündliche Ernährung mit viel Omega-3-Fettsäuren und vielen Ballaststoffen. Im Falle von ADHS ist überdies die Vermeidung von Zusatzstoffen wie Süßstoffen, Farbstoffen, Emulgatoren und anderen Additiven empfehlenswert. Um es kurz zu sagen, psychische Erkrankungen sollten ergänzend ernährungstherapeutisch behandelt werden, wie es in vielen medizinischen Leitlinien auch schon verankert ist, z.B. in den kanadischen Leitlinien der Psychiatrie. Dort werden Omega 3 Fettsäuren für Depression und optional mit schwächerer Evidenz auch für ADHS empfohlen. Die Deutschen Leitlinien hinken überall hinterher. Es dauert noch etwas bis so etwas in die deutschen Leitlinien kommt.
A: Kann man mit Ernährung präventiv psychischen Erkrankungen vorbeugen oder sie beeinflussen?
Dr. Matthias Riedl: Die Behandlungsprinzipien der Ernährungsmedizin sind selbstverständlich auch geeignet der Entwicklung psychischer Erkrankungen vorzubeugen, je nach Krankheit in unterschiedlichem Maße. Der Effekt ist bei Depressionen am größten, gefolgt von ADHS, weniger ausgeprägt bei Psychosen. Letztlich spielt auch die genetische Disposition eine Rolle und die ganze Umgebungswelt. Natürlich sind auch die sozialen Verhältnisse ausschlaggebend, aber die Ernährungsmedizin bietet hier einen guten unterstützenden Ansatz.
“Die richtige Ernährung stabilisiert Körper und Seele und macht sie weniger anfällig für (psychische) Erkrankungen.”
Zusammengefasst kann man sagen, dass die richtige Ernährung den Körper und die Seele stabilisiert und weniger anfällig macht für psychische Erkrankungen. So finden wir bei Naturvölkern keine Depressionen, wozu sicher auch die Ernährungsweise beiträgt.
ADHS stellt sich bei Naturvölkern sogar als ein sozialer und gesundheitlicher Vorteil dar. Bei einer großen Studie mit Nomaden, von denen ein Teil bereits sesshaft war und der andere Teil noch nomadisch lebte, zeigte sich, dass nomadisch lebende ADHS-Betroffene sozial angesehener waren als seine sesshaften Stammesgenossen. Daraus ist zu schließen, dass ADHS weniger als Krankheit anzusehen ist im Sinne der evolutionären Medizin, sondern eine Eigenschaft darstellt, die im Zusammenhang mit Reiz-überflutung, Bewegungsarmut, sozialen Verhältnissen und westlicher Ernährung gesehen werden muss, die den Betroffenen zum Nachteil gereichen.
Wer es nicht geschafft hat, seinen Kindern im Klein-kindalter gesundes Essverhalten zu vermitteln, wird es später schwierig haben.
A: Wie können Eltern mit einem krankheitsbedingt verändertem Essverhalten ihren Kindern gute Ernährung vermitteln?
Dr. Matthias Riedl: Das Elternhaus spielt die größte Rolle in der Entstehung des Essverhaltens bei Kindern. Schon im Mutterleib wird das Kind auf die in seinem späteren Lebensraum übliche Ernährung geprägt. Das kann westliches Snackfood sein oder eine gesunde artgerechte Ernährung. Die Wahrscheinlichkeit sich später gesund zu ernähren steigt, wenn die Mutter sich gesund ernährt hat. Später eifert das Kind des Eltern nach und wird dann auf die soziale Ernährungssituation geprägt. Mit anderen Worten: Eltern haben in den ersten 1000 Lebenstagen des Kindes die spätere Gesundheit der Kinder in der Hand. Das ist den meisten Eltern nicht bewusst. Spätere Ernährungserziehung im Kindergarten und in der Schule ist zwar sinnvoll, erreicht aber nicht mehr die Wirkstärke wie in der frühen Kindheit.
Letztlich zeigen auch Studien, dass mit dem Eintritt in die Werbewelt unserer westlichen Zivilisation, die Eltern weniger Einfluss auf das Essverhalten nehmen können. Selbst Kinder, die bei ihren Eltern gesundes Essen kennengelernt haben, kommen in die Fänge von Systemgastronomie und Süßigkeitenwerbung. Dadurch verändern sie ihr Essverhalten.
Der Einfluss der Eltern nach der Pubertät kann als marginal betrachtet werden. Wer es nicht geschafft hat, seinen Kindern im Kleinkindalter gesundes Essverhalten zu vermitteln, wird es später schwierig haben.
Nach der Pubertät ist das nahezu unmöglich. Sätze wie „Iss das, weil es gesund ist“ sollten dabei vermieden werden. Sie führen zum Gegenteil, man nennt es Reaktanz. Lebendiges, ehrliches Vorbild-verhalten ist viel wichtiger. Das Ausprobieren gesunder Lebens-mittel mit den Kindern, das Reinbeißen, das Kochen, das Mahlzeiten zubereiten, sind wichtige Elemente zur Entwicklung eines gesunden Essverhaltens. Die Möglichkeiten werden in der gesamten westlichen Welt nicht ausreichend genutzt.
“Fünf Prozent der Kinder haben bereits eine Fettleber.”
Dies führt zu der bekannten Adipositaswelle bei Kindern. Fünf Prozent der Kinder haben bereits eine Fettleber. Jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge haben ein gestörtes Essverhalten. Die Diabetes-Typ2-Steigerungsrate liegt bei Kindern und Jugendlichen bei fünf Prozent pro Jahr. Das sind alarmierende Zahlen.
Das Interview führte Christiane Rose
Matthias Riedl
Dr. Matthias Riedl, Internist, Ernährungsmediziner, Diabetologe, ärztlicher Leiter des Medicum Hamburg, Europas größtem Fachzentrum für größtes Fachzentrum für Diabetologie, Ernährungsmedizin und angrenzende Fachgebiete