Die Ausbildung im Papasein

Überlegungen von Autor Benjamin Maack zum Vaterwerden und Vatersein.

Vorgestern hat mir mein Zehnjähriger 68 von 100 Punkten im Papasein gegeben. Meine beiden Söhne und ich haben darüber gelacht. Aber in meinem Kopf passierte etwas ganz anderes. Mein Kopf sagte: War doch klar, du reichst nicht aus, du bist nicht gut genug. Mein Kopf liebt es, mir das zu sagen. Bei allen möglichen Sachen. Im Job, in Gesprächen, beim Schreiben dieses Textes, bei quasi allem, was ich tue. Aber bei meinen Kindern tut es am meisten weh. Hilfe hole ich mir natürlich trotzdem nicht. Weil das ein Zeichen von Schwäche wäre, ein Zeichen, dass ich ein schlechter Vater bin. Dass ich nicht mal eine 68 bin.

Woher ich das habe? Vor vielleicht fünf Jahren – Theo war sechs Jahre alt, Wolf war eins – telefonierte ich mit meinem Vater. „Ich bin grad total durch. Die Kinder schaffen mich“, sagte ich ihm. Seine Antwort: „Rate mal, warum ich immer bei der Arbeit war.“ Natürlich dachte ich nicht, dass mein Vater bestenfalls eine 68 von 100 war. Nein, ich dachte: Als Kind muss ich ja echt eine 68 von 100 gewesen sein, dass mein Vater vor mir auf die Arbeit geflüchtet ist. Und er hat wirklich viel gearbeitet.

Kinder werden nicht mit Anleitung geliefert. Trotzdem hat jeder von uns eine jahrelange Ausbildung als Elternteil hinter sich. Eine Ausbildung unter denkbar schlechten Bedingungen. Es gibt keine Fächer wie „Kommunikation“, „Fürsorge“, „wie vermittle ich meinem Kind, dass ich es liebe“ oder „wie gehe ich mit Überforderung um“. Die Ausbildung beginnt mit unserer Geburt. Und das Kollegium ist überschaubar: Nur ein Lehrer und eine Lehrerin unterrichten uns – und die beiden haben die gleiche beschränkte Ausbildung erhalten, wie wir auch. Nämlich die durch ihren Vater und ihre Mutter.

Das macht es sehr schwer, in der Erziehung andere Wege einzuschlagen als die eigenen Eltern. Meine waren nicht so gut im lieben, verwandelten ihre Überforderung oft in Wut und ihre Unsicherheiten in das Schlechtmachen voneinander, von mir und meiner Schwester und etlichen anderen. Ich liebe meine Kinder und verachte nicht meine Eltern. Denn ich weiß ja, dass sie in meiner Kindheit weitgehend wiederholt haben, was sie als Kinder von ihren Eltern gelernt haben. Nein. Ich verachte mich. Weil sie mir beigebracht haben, dass ich unzulänglich und wenig liebenswert bin. Und ich weiß, dass sie das nicht wollten. Und mittlerweile weiß ich auch, dass eine lodernde Wut auf sie nichts daran ändert. Doch für meine Kinder tut es mir leid.

Denn wegen der Elternausbildung in meiner Kindheit, fällt es mir heute oft schwer, etwas für meine Kinder zu tun. Oder etwas mit ihnen zu unternehmen. Weil ich denke, dass ich es eh nicht gut genug machen werde. Und mir das große Angst macht. Und deshalb mache ich es, so oft es mir gelingt, trotzdem. Weil etwas tun, immer besser ist, als nichts zu machen, besser ist, als „Rate mal warum ich so viel gearbeitet habe.“ Und so stolpere ich Fehler für Fehler, Glücksmoment für Glücksmoment durch meinen Alltag als Elternausbilder meiner Kinder. Ob ich weniger Fehler mache als mein Vater? Keine Ahnung. Aber, wenn ich glaube, etwas schlecht oder falsch zu machen, sage ich es den Kindern, entschuldige mich oder frage, wie wir es das nächste Mal besser hinkriegen. So sind wir drei Lernende und drei Lehrer im Elternsein. Ein ganz schön gutes Team.

Benjamin Maack

Benjamin Maack

Foto: Benne Ochs

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