Den meisten fehlen Leichtigkeit und Lebensfreude

Angehörigenbegleiterin Ute Becker stärkt erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern

mit Ute Becker

Ute Becker wuchs mit ihrer Familie in Hamburg auf. Ihre Kindheit war besonders – besonders belastend, denn ihre Mutter litt unter Depressionen, Zwangsstörungen und war schwer alkoholabhängig. Die permanente Sorge und das starke Gefühl, Verantwortung für ihre Mutter zu über-nehmen, nahm ihr eine unbeschwerte Kindheit. Unterstützung von anderen Familienmitgliedern hätte sich Ute Becker gewünscht. Seit 2016 begleitet die gelernte Steuerfachangestellte Angehörige von psychisch erkrankten und sagt: „All das Schlimme, was ich erlebt habe, ist heute mein Erfahrungsschatz.“ Sie engagiert sich ehrenamtlich in verschiedenen Vereinen und bestärkt Angehörige darin, trotz belastender familiärer Situation, die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren.

„All das Schlimme, was ich erlebt habe, ist heute mein Erfahrungsschatz.“ 

Wie geht es dir eigentlich mit der Situation zu Hause? Diese Frage, die scheinbar einfach über die Lippen geht, würden sich viele Angehörige von psychisch erkrankten Familienmitgliedern wünschen, einmal gestellt zu bekommen. Sie fühlen sich gegenüber dem erkrankten Elternteil oder Partner*innen verantwortlich, haben Schuldgefühle und Angst vor Reaktionen Außenstehender – oft bauen sie eine Mauer um sich auf. Zum Themenschwerpunkt „Angehörige“ haben wir Ute Becker interviewt. Die Tochter einer psychisch kranken Mutter erzählt von ihren Herausforderungen als Kind, ihrem Weg zur Angehörigenbegleiterin und verrät, was es braucht, um sich nicht mehr für die Eltern verantwortlich zu fühlen.

Hanna Berster: Frau Becker, Ihre Kindheit war geprägt durch die psychische Erkrankung Ihrer Mutter. Dadurch haben Sie früh Aufgaben übernommen, die nicht in den Verantwortungsbereich eines Kindes gehören. Wie bestritten Sie Ihnen Weg als Jugendliche?

Ute Becker: Als Jugendliche wollte ich am liebsten einen Beruf im medizinischen Bereich ergreifen, doch auf Wunsch meiner Eltern begann ich mit 16 Jahren eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten. Mein damaliger Chef handelte immer nach dem Motto: Zuckerbrot und Peitsche. Zwischen beeindruckenden Betriebsausflügen u. a. nach Las Vegas u. a. und großzügigen Geschenken reagierte er auf kleine Fehler mit regelrechten Wutausbrüchen. Ich wurde von ihm immer klein gemacht und bekam das Gefühl vermittelt, nichts wert zu sein. Vor etwa vier Jahren habe ich erfahren, dass er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte. Durch meine familiäre Geschichte war mir, zu Anfang ganz unbewusst , die Verhaltensweisen meines Vorgesetzten bekannt. Denn schon meine Mutter hat mir immer Doppelbotschaften gesendet: „Ich habe dich ganz doll lieb, aber du störst, geh weg!“ So war es auch bei meinem Chef. Heute weiß ich, dass ich mir diese Menschen unbewusst ausgesucht haben muss. Eine Psychologin diagnostizierte mir einmal eine Strukturniveau-Störung. Dennoch blieb ich 32 Jahre in demselben Betrieb. 2014 habe ich einen neuen Chef bekommen, er wusste von meiner familiären Situation. Ihm sagte ich auch, dass ich mich als Angehörigenbegleiterin engagiere, denn ich wollte mich nicht mehr verstecken, das war so anstrengend.

„Heute weiß ich, dass ich mir diese Menschen unbewusst ausgesucht haben muss.”

Hanna Berster: Heute sind Sie in verschiedenen Vereinen aktiv, die erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern und Angehörige stärken und begleiten. Warum haben Sie sich entschieden, sich zu engagieren?

Ute Becker: Aufgrund meiner eigenen Geschichte hat es sich ergeben, dass ich im Jahr 2010 bei einer „Woche der seelischen Gesundheit“ im Quarree Wandsbek auf einen Stand von „irre menschlich e.V.“ gestoßen bin und von der „Unterwegs Gruppe“ erfahren habe. Hier treffen sich erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern. Ich bekam die Mailadresse von Gyöngyvér Sielaff, die diese Gruppe geleitet hat. Ich schrieb sie an und bekam eine Antwort und einen Termin. Danach durfte ich in die Gruppe gehen.

Hanna Berster: Wie war die Erfahrung in der Gruppe für Sie?

Ute Becker: Ich fühlte mich dort das erste Mal verstanden, weil es den anderen Teilnehmer*innen genauso ging wie mir. Endlich war ich mit dem Problem nicht mehr allein. Im Büro wusste niemand von meiner familiären Geschichte. Ich konnte immer gut verstecken, was zu Haue los war und hatte mir eine Ritterrüstung aufgebaut. Im Jahr 2011 wurde in der Gruppe gefragt, ob sich jemand vorstellen könnte, andere Angehörige zu begleiten. Alles unter dem Projekt von PsycheNet und EX-IN. So folgten im Jahr darauf zwei Wochenendkurse, in denen ich mehr über Begleitung lernte. 2013 habe ich dann als Angehörigenbegleiterin im Krankenhaus Wandsbek angefangen. Als Ausgleich zu meinem trockenen Job als Steuerfachangestellte fand ich diese Tätigkeit total klasse. Bis Ende 2014 wurde das noch von dem Projekt finanziert und danach sollten die Krankenhäuser die Genesungs- und Angehörigenbegleiter*innen auf eigene Kosten übernehmen. Das Asklepios Wandsbek hat uns leider nicht übernommen.

„Ich fühlte mich dort das erste Mal verstanden.”

Im Oktober 2015 habe ich dann die einjährige EX-IN Ausbildung zur Angehörigen-Begleiterin begonnen und mit Zertifikat abgeschlossen. Aus einer Arbeitsgruppe für Genesungsbegleiter*innen entstand die Idee, für die Vernetzung und Arbeitsplatzvermittlung einen Verein zu gründen, denn als Verein hat man mehr Möglichkeiten. So bin ich auch bei „Genesungs- und Peerberatung Hamburg e.V. (GBPH), Gründungsmitglied. Darüber hinaus war ich bei der Gründung der Vereine „Seelenerbe e.V“ beteiligt und bin Mitglied im Verein „irre menschlich e.V.“ im LApK Hamburg sowie bei EX-IN Hamburg e.V.

Hanna Berster: Das Bewusstmachen und Reflektieren des in der Kindheit erlebten tritt bei vielen Menschen erst im Erwachsenenalter ein. Wann konnten Sie den Schritt gehen, um Ihr Erlebtes aufzuarbeiten? 

Ute Becker: Das geschah bei mir erst im Erwachsenenalter. Durch die Unterwegs Gruppe habe ich erfahren, dass das Erlebte nicht „normal“ ist und man sagen darf, dass man darunter gelitten hat und es einem Schaden zugefügt hat. Die Portfolioarbeit während der EX-IN Ausbildung war für mich sehr wertvoll, weil sie sehr viel Selbstreflektion beinhaltet hat. Ich musste mich mit mir beschäftigen und reflektieren. Durch die ganzen Kontakte bei meiner ehrenamtlichen Arbeit habe ich gemerkt, was mir früher gefehlt hat. Das waren vor allem Unterstützung und Verständnis für mich als Kind und Angehörige, die Bestärkung, eigene Wege gehen zu dürfen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber auch der offene Austausch mit anderen betroffenen Angehörigen. Ich musste keine Maske mehr tragen und konnte offen über meine Geschichte reden. Für die EX-IN Ausbildung war das Erlebte ein Erfahrungsschatz.

Hanna Berster: Gab es in dieser Zeit Menschen, die Sie besonders geprägt haben?

Ute Becker: Im Jahr 2013 habe ich Dorothea Buck kennen und lieben gelernt. Ich durfte sie jede Woche im Pflegeheim besuchen. Wir hatten sehr wertvolle Gespräche und gerade ihr Kampfgeist hat mir gefallen. Sie wurde für mich zu einem großen Vorbild. Bei ihr war jeder willkommen und sie hatte stets ein offenes Ohr für die Menschen, die sie besuchten. Sie fragte mich bei jedem Besuch, wie meine Woche gelaufen ist. Wir haben zusammen Filme geguckt und sie hat mir Briefe diktiert, die sie an Politiker*innen oder andere Persönlichkeiten schicken wollte, weil sie ja selbst nicht mehr schreiben konnte. Sie wurde für mich zu einer „Ersatz-Oma“ bis zu ihrem Tod im Jahr 2019.

Hanna Berster: Wer waren, als Sie Kind waren, Ihre Unterstützer*innen?

Ute Becker: Ich hatte als Kind leider von niemandem irgendwelche Unterstützung. Im Gegenteil, ich habe als Kind versucht meiner Mutter zu helfen, indem ich als 10-jährige schon ein ernstes Gespräch mit meiner Oma geführt habe, um ihr klar zu machen, welche Probleme meine Mutter mit ihr hat. Als ich etwas älter war, habe ich mit unserem Hausarzt über die Probleme meiner Mutter gesprochen und habe sie später zum Psychologen und den anonymen Alkoholikern „geschleift“. Als ich 15 war, bezeichneten mich meine Verwandten als einzig „normale“ in der Familie und meinten, ich müsse mich doch mal um meine Mutter und die Probleme mit meiner Oma kümmern. Sie selbst haben sich leider überhaupt nicht gekümmert und alles weit von sich weggeschoben. Ich war mit dem Problem allein. Mein Vater war zwar anwesend und ging arbeiten, aber mit diesen Problemen konnte er nichts anfangen und hat alles mir überlassen.

„Als ich 15 war, bezeichneten mich meine Verwandten als einzig „Normale“ in der Familie (…)”

Hanna Berster: Welche Form der Unterstützung hätten Sie sich damals gewünscht?

Ute Becker: Gewünscht hätte ich mir, dass ich als Kind und Jugendliche, Erwachsene an meiner Seite gehabt hätte, die sich meiner Probleme annehmen, damit ich als Kind und Jugendliche ohne Sorgen hätte aufwachsen können. Meine Mutter hat mich als Jugendliche gerne emotional damit erpresst, „dass sie ja nun das dritte Kind auch noch verlieren würde“, wenn ich etwas mit anderen unternehmen wollte. Denn nach zwei vor mir verstorbenen Geschwistern war ich Einzelkind. Ständig musste ich mir anhören, dass mir die anderen wohl wichtiger als meine Eltern seien. Da hätte ich mir gewünscht, dass mal jemand gesagt hätte, dass es ganz normal ist, wenn man als Jugendliche etwas unternimmt, was einem Spaß macht und die Probleme der Eltern mal vergisst.

Leider werden Kinder von psychisch kranken Eltern noch viel zu selten wahrgenommen, weil sie meistens gut funktionieren, eine Maske tragen und dafür sorgen, dass von den häuslichen Problemen nichts nach außen dringt, weil sie sich schämen oder Angst haben, in ein Heim zu kommen. Somit bekommen sie auch keine Hilfe und Unterstützung, es sei denn, sie sind bereits selbst erkrankt oder anders auffällig geworden.

„Ständig musste ich mir anhören, dass mir die anderen wohl wichtiger als meine Eltern seien."

Hanna Berster: Neben Ihrem Hauptberuf beraten Sie bei der mobilen Angehörigenbegleitung Kinder von psychisch erkrankten Eltern. Wer nimmt dieses Angebot wahr und welche Altersstruktur der Klient*innen gibt es?

Ute Becker: Die Altersstruktur liegt sehr oft bei Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, wo man merkt, dass einem die Kindheit oder Jugend fehlt, wenn man sich mit anderen vergleicht. Den meisten fehlen Leichtigkeit und Lebensfreude, weil die Sorge um das erkrankte Elternteil größer ist. Man ist im Beruf angekommen und hat sich sein Leben eingerichtet und doch fehlt etwas Wichtiges, was man gar nicht so leicht in Worte packen kann. Meistens merkt man aber später, dass gewisse Probleme einfach bleiben und nichts mehr mit der Pubertät oder dem Beruf zu tun haben.Viele haben auch ein Problem, die Verantwortung bei den erkrankten Eltern zu suchen. Man hat als Kind das Gefühl, seine Eltern zu verraten oder schlecht zu machen. Man will als Kind loyal den Eltern gegenüber sein oder schämt sich, darüber zu sprechen bzw. hat ein schlechtes Gewissen, weil man denkt, dass man vielleicht an der Erkrankung Schuld hat. Nach dem Motto „vielleicht war ich ja kein gutes Kind, nicht artig genug, zu schlecht in der Schule, zu faul, habe meine Eltern enttäuscht etc.

„Viele haben auch ein Problem, die Verantwortung bei den erkrankten Eltern zu suchen.”

Manche Klient*innen kommen in der Krise oder brauchen moralische Unterstützung, dass es völlig ok ist, wenn sie ihr eigenes Leben leben wollen und nicht verantwortlich für die erkrankten Eltern sind. Eine ganz wertvolle Erfahrung war für mich in der EX-IN Ausbildung zu lernen, dass die psychisch erkrankten Menschen auch Eigenverantwortung haben. Das war für mich persönlich sehr entlastend und genau das gebe ich in Gesprächen auch weiter und merke, wie das den Klient*innen hilft. Sie atmen regelrecht auf, wenn sie erfahren, dass sie nicht für alles verantwortlich sind. Das heißt ja nicht, dass man seine erkrankten Eltern fallen lässt, aber man darf sie ein Stück loslassen, sein eigenes Leben führen und auch Spaß haben – ohne schlechtes Gewissen.

Hanna Berster: Sie arbeiten auch mit Angehörigen von Kindern psychisch kranker Eltern zusammen. Wer definiert sich als Angehörige?

Ute Becker: Als Angehörige definieren sich meistens Partner*innen von Kindern psychisch kranker Eltern, weil sie oft mit der Situation überfordert sind. Sie möchten ihren Partner*innen helfen, wissen aber nicht, was sie machen sollen. Von Omas, Onkeln, Tanten und Cousinen höre ich in Gesprächen fast gar nichts, weil die meisten Kinder versuchen, das Problem alleine zu meistern oder höchstens Partner*innen mit involvieren. Dabei habe ich noch nicht erlebt, dass Angehörige mit einem betroffenen Kind in eine Gruppe gehen. Ich habe es eher mitbekommen, dass Eltern mit ihrem kranken Kind in entsprechende Gruppen gehen, wie z. B. trialogische Veranstaltungen. Es kann natürlich sein, dass Angehörige mit betroffenen Kindern in Gruppen gehen, nur mir sind hier keine bekannt.

Hanna Berster: Stichwort Young Carers – welchen Stellenwert haben minderjährige Kinder im Sinne der Angehörigen? Werden Sie schon als „Angehörige“ wahrgenommen?

Ute Becker: Ich persönlich habe nicht das Gefühl, dass minderjährige Kinder schon als „Angehörige“ wahrgenommen werden, weil sie gar nicht als Betroffene in Erscheinung treten. Sie versuchen nach außen ein Bild der heilen Familie aufrecht zu erhalten und tun alles dafür, dass das „Geheimnis“ nicht ans Tageslicht kommt. Es bedeutet ja auch Angst vor dem Heim oder in Pflegefamilien zu kommen. Sie haben Angst um ihre erkrankten Elternteile oder schämen sich. Dann haben sie mit Schule und Pubertät zu kämpfen und wenn da kein anderer mal richtig hinsieht, bleiben die Kinder mit ihren Problemen allein. Hier müsste noch viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Der Verein „irre menschlich“ bietet Schulprojekte, wo in Schulen über psychische Erkrankungen und Sucht aufgeklärt wird. Das reicht meiner Meinung nach noch lange nicht aus, denn der Bedarf ist hier viel höher.

Hanna Berster: Können Sie aus den Erfahrungen Ihrer Arbeit sagen, wie die heute erwachsenen Kinder die Beziehung zu ihren „alten“ Eltern definieren?

Ute Becker: Die Beziehung der heute erwachsenen Kinder ist ganz unterschiedlich. Die meisten machen sich Sorgen um ihre erkrankten Eltern und viele haben es auch geschafft, eine gesunde Abgrenzung zu finden. Viele von ihnen mithilfe von lieben Partner*innen, die sie dabei unterstützten. Es gibt auch Kontaktabbrüche, aber die habe ich in meiner Arbeit seltener erlebt. Das war eher dann der Fall, wenn das erwachsene Kind selbst erkrankt ist. Z. B. Depressionen oder Angst hat, die Psychose/Schizophrenie geerbt zu haben.

Hanna Berster: Wie war bis zum Ende das Verhältnis zu Ihrer Mutter?

Ute Becker: Ich habe mich immer gekümmert und bin daher auch in das Nebenhaus meiner Eltern gezogen. Später sind meine Eltern dann gegenüber in einen Altenhof umgezogen. Wenn etwas war, konnte ich immer schnell da sein. Zwar hatte ich dann einen Bereich für mich, aber bis zum Schluss habe ich immer versucht, mich zu kümmern. Da meine Mutter im Alter mehr und mehr getrunken hat, war es für mich kaum noch auszuhalten. 2004 ist sie an den Folgen des Alkoholismus gestorben. Mein Vater starb im Jahr darauf.

Hanna Berster: Haben Sie gegen ihre Eltern einen inneren Groll entwickelt?

Ute Becker: Ja, sehr. Ich hatte manchmal so eine Wut im Bauch. Ich wurde als Kind immer angehalten, ich solle nicht so maßlos sein, kein zweites Eis mehr essen. Später habe ich über meine Mutter gedacht „Wie maßlos bist du denn mit deiner Sauferei!“ Diese Wut habe ich heute noch in mir. Hier hole ich mir Hilfe bei einer Coacherin, um zu reflektieren und zu lernen mit dieser Wut umzugehen.

Hanna Berster: Welchen Rat würden Sie heute Ihrem kindlichen „Ich“ mit auf den Weg geben?

Ute Becker: Meinem kindlichen „Ich“ würde ich mit auf den Weg geben, dass es ein Recht darauf hat, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen und nicht für seine Eltern verantwortlich ist. Hier arbeite ich noch mit dem Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl und habe mich mit meinem Schatten- und meinem Sonnenkind befasst. Ich bin noch lange nicht am Ziel angekommen.

„Meinem kindlichen „Ich“ würde ich mit auf den Weg geben, dass es ein Recht darauf hat, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen (…)”

Hanna Berster: Wie geht es Ihnen heute?

Ute Becker: All das Schlimme, was ich erlebt habe, ist heute ein Erfahrungsschatz. Ich helfe Menschen und das gibt mir unheimlich viel.

Hanna Berster: Was glauben Sie, was es für Kinder von psychisch erkrankten Eltern in Zukunft in Hamburg braucht?

Ute Becker: Es braucht mehr Anlaufstellen für Kinder von psychisch erkrankten Eltern. Soweit ich weiß, gibt es nur eine Gruppe für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern am UKE und sonst nichts. Es gibt Angehörigengruppen, wo meistens Eltern vertreten sind, die erkrankte Kinder haben oder Geschwistergruppen. Für mein Gefühl müsste noch viel mehr Aufklärungsarbeit gerade in Schulen geleistet werden, in Form von Unterrichtsfächern und Gesprächsangeboten, wo die betroffenen Schüler*innen hingehen können, ohne sich „outen“ zu müssen. Ich war mal in einer achten Klasse bei einem Schulprojekt von „irre menschlich“, wo es um Sucht ging. Die Schüler*innen waren so interessiert dabei, dass sie sogar ihren Schulschluss verpasst haben. Diese Projekte laufen trialogisch, d. h. dass Betroffene, ein Angehöriger und Psycholog*innen von ihren erlebten Erfahrungen berichten und die Schüler*innen Fragen stellen dürfen. Dadurch ist es sehr lebendig und es zeigt, dass viele Schüler*innen in ihrem Umfeld jemanden haben, der psychisch erkrankt ist. Sei es nun ein Elternteil, Onkel, Tante, Freund etc.

Hanna Berster: Danke für die sehr persönlichen Blicke in Ihr Leben und Ihre Arbeit.

Ute Becker: Das habe ich gern gemacht, ich danke Ihnen.

Ute Becker

Seit 2016 Angehörigenbegleiterin. Sie engagiert sich in Hamburg in verschiedenen Vereinen für Angehörige und erwachsene Kinder psychisch erkrankter Eltern.

Hanna Berster

Journalistin und bis 2022 bei A:aufklaren in der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. 

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