Das „Staffelholz“ nicht an die nächste Generation weitergeben

Psychisch kranke Eltern und ihre hoch belasteten, psychisch erkrankten Kinder werden in einem Kooperationsprojekt in der Asklepios Klinik Harburg behandelt

Interview mit Brit-Meike Fischer-Pinz

Als Fachärztin für Psychiatrie und -psychotherapie leitet Brit-Meike Fischer-Pinz den erwachsenenpsychiatrischen Teil der „Therapiestation für Kinder (0 bis 6 Jahre) und ihre Eltern“ in der Asklepios Klinik Harburg. Dabei handelt es sich um ein in dieser Form innovatives Kooperationsprojekt zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie. Auf der Station werden psychisch erkrankte Eltern und ihre psychisch erkrankten Kinder gemeinsam therapiert. Mit Erfolg: Eine Verdoppelung der Kapazitäten mit Erweiterung des Altersspektrums ist bereits geplant.

A: Frau Fischer-Pinz, können Sie kurz erklären, was Sie bei Ihrer Arbeit motiviert? 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Die intergenerationellen Wirkungen von psychischen Erkrankungen und das Thema „Kinder psychisch kranker Eltern“ bewegen mich seit Studienzeiten. Ich habe dann während meiner Facharztausbildung nicht nur im erwachsenenpsychiatrischen, sondern auch eine Weile im kinderpsychiatrischen Bereich gearbeitet, so dass ich verschiedene fachliche Perspektiven auf das Thema kennenlernen durfte. Und jetzt bin ich sehr erfüllt von der Arbeit auf dieser Station und beeindruckt von der Entwicklung, die ich bei den Familien erleben darf.

A: Sie behandeln auf der Station vor allen Dingen Mütter mit psychischen Erkrankungen und ihre Kinder gemeinsam. Ist das ein innovatives Konzept?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Das ist in dieser Form ziemlich innovativ. Wir haben das Gefühl, damit Pionierarbeit zu leisten, und finden, dass sich das Projekt sehr gut weiterentwickelt. Wir behandeln Elternteile mit ihrem Kind: Mütter, Väter, auch Pflege- und Adoptiveltern. In der überwiegenden Zahl sind es aber Mütter. Auf der erwachsenenpsychiatrischen Seite geht es diagnostisch hauptsächlich um Depressionen und Angsterkrankungen sowie sehr häufig um Persönlichkeitsstörungen, vor deren Hintergrund es zu Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation kommt. Und auch Traumafolgestörungen spielen eine große Rolle bei uns. Auf Symptomebene kann man beobachten, dass der größte Teil unserer erwachsenen Patienten unter depressiven Symptomen leidet, entweder im Zusammenhang mit einer diagnostizierten Depression oder auch im Rahmen einer anderen psychischen Erkrankung. Und viele Eltern haben mit hoher Anspannung und Wutausbrüchen zu tun, so dass die Kinder leicht zum „Blitzableiter“ werden.

„Wir brauchen mehr Kapazitäten, um Eltern mit psychischen Erkrankungen schneller in Behandlung zu bringen.“

A: Wie behandeln Sie diese Erkrankten?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Grundsätzlich ist es bei uns so, dass der Elternteil und das psychisch ebenfalls sehr belastete Kind gemeinsam stationär aufgenommen werden. Wir arbeiten mit einem integrativen therapeutischen Ansatz, in den tiefenpsychologische und verhaltens-therapeutische Aspekte und – ganz wichtig – auch achtsamkeitsbasierte Therapie-perspektiven einfließen. Auf der erwachsenen-psychiatrischen Seite gibt es neben thera-peutischen Einzel- und Gruppengesprächen auch regelmäßige achtsamkeits-therapeutische Einheiten, außerdem Ergotherapie. Die kinderpsychiatrischen Kolleg*innen arbeiten einzel- und interaktionstherapeutisch sowie ebenfalls mit Ergo- und Bewegungstherapie. Das Wichtigste, das Herz unserer Behandlung, besteht dabei in einer gemeinsamen therapeutischen Haltung, die Beziehung und Bindung in den Mittelpunkt stellt und die den Familien ein tragfähiges und verlässliches therapeutisches Beziehungsangebot macht.

A: Die Therapeut*innen sind dann die Beziehungspersonen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Dafür braucht es das ganze therapeutische Team. Die Familien werden zum Beispiel von unseren pädagogisch-pflegerischen Mitarbeitern in der Interaktion mit dem Kind intensiv durch den Alltag begleitet. Den ganzen Tag, die ganze Woche über werden wichtige Alltagssituationen wie Aufstehen, Zähne putzen, gemeinsame Mahlzeiten, Spielen, Rausgehen und Zu-Bett-Gehen immer wieder von einer pflegerisch-pädagogischen Bezugsperson begleitet. 

A: Gibt es eine Kita oder Kinderbetreuung?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Die Kinder werden auf der Station durch die Eltern betreut, das ist Teil des Konzeptes, weil das viel mit Bindungserfahrungen und dem Üben von Beziehungsgestaltung zu tun hat. Das heißt aber auch, dass damit eine hohe Anforderung für unsere Patient*innen verbunden ist. Ob Kinder sonst acht Stunden in der Kita betreut werden oder jetzt im Wesentlichen mit der Mutter zusammen sind, das ist schon ein Unterschied. Das ist für viele Mütter erstmal eine Herausforderung. Aber natürlich werden die Kinder während der Therapie- und Erholungszeiten der Eltern auch vom Stationsteam betreut.

 A: Wird die Beziehung von Mutter und Kind durch die Therapie neu definiert?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Erst einmal wird unsererseits geschaut, kennengelernt und wahrgenommen. Wir versuchen wirklich, jede Familie mit ihrem individuellen Beziehungsgeflecht anzuschauen, uns einzufühlen und zu verstehen. Und wir sprechen oft davon, eigentlich drei Patienten zu behandeln: Die Mutter, das Kind und die Beziehung zwischen den beiden. Im Verlauf kann man dann in gewisser Weise schon von einer Neuentdeckung bzw. Neudefinition sprechen.

A: Welche Auswirkungen haben die psychischen Erkrankungen der Eltern wie Depressionen auf die Kinder? Gibt es da typische Muster?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Das ist unterschiedlich und hängt sehr von den individuellen und familiären Ressourcen ab. Mir ist an dieser Stelle immer wichtig, im Blick zu behalten, dass Familien in der Lage sind, Krisen zu bestehen. Es ist nicht so, dass jedes betroffene Kind Schaden nimmt, das ist ja immer eine große Angst in den Familien. Menschen, auch Kinder, sind krisenfähig. Schwierig wird es aber dann, wenn Kindern sichere und verlässliche Bindungserfahrungen fehlen, wenn Gefühle nicht benannt werden können oder dürfen und wenn auf den Kindern zu viel Verantwortung lastet. Dann kommt es zu Überforderung.

A:Psychische Erkrankungen betreffen ja meistens auch den Zugang zu Gefühlen. Gerade der Umgang mit Gefühlen in ihren Familien ist für Kinder aber existenziell. Kinder neigen außerdem dazu, zu viel Verantwortung zu übernehmen oder die Schuld für das krankheitsbedingte Verhalten von Eltern bei sich zu suchen. 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Es ist wirklich sehr unterschiedlich: Manche Kinder reagieren unreguliert, werden „verhaltensauffällig“, andere ziehen sich zurück und verhalten sich überangepasst. Manche wirken auch vorgereift und überkompetent, wie „kleine Erwachsene“.

A: Es gibt also verschiedene Strategien der Kinder, damit umzugehen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Ja, man könnte sagen, dass sich je nach Veranlagung und Temperament unterschiedliche Gefühls- und Verhaltensmuster bilden. Unsere kinderpsychia-trischen Kolleg*innen beschreiben das immer sehr differenziert. Oft macht kindliches Verhalten Sinn, wenn man die familiäre Interaktion beobachtet. Ein unruhiges, überaktives Kind, als Beispiel, bei dem alle denken, „das kann nur ein ADHS sein“. Wenn man dann sieht, wie die Mutter immer nur depressiv im Bett liegt und das Kind über einen längeren Zeitraum unheimlich laut und aktiv sein muss, um die mütterliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, kann man das in der Gesamtschau manchmal anders einordnen.

„Psychische Erkrankungen betreffen meistens auch den Umgang mit Gefühlen in den Familien. Das ist für die Kinder existenziell.“

A: Sie versuchen also erstmal zu analysieren. Und was passiert dann therapeutisch?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Wir haben keine festen „Rezepte“ oder Patentlösungen. In der Erwachsenentherapie geht es oft erstmal darum, den eigenen schmerzhaften Gefühlen Raum zu geben und Selbstmitgefühl zu entwickeln, aber auch biographische Bezüge herzustellen. Auch    ein „mothering the mother“ kommt dabei zum Tragen. Wichtig ist außerdem, dass die Symptome der Mutter erstmal behandelt werden, damit sie zum Beispiel einigermaßen in die Lage versetzt wird, morgens aufzustehen und sich ihrem Kind zuzuwenden. Wenn das unbehandelt bliebe, wäre es schwierig.

A: Die Kinder bekommen Einzel- und Eltern-Kind-Therapie. Im Behandlungsverlauf wird die Interaktion zwischen Mutter und Kind immer wichtiger. 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Vom Stationsteam wird sehr viel mit reflektierender Rückmeldung gearbeitet, außerdem im Sinne einer Vorbildfunktion. Und es gibt Psychoedukationseinheiten, denn viele Eltern wissen einfach gar nicht, welches kindliche Verhalten altersentsprechend und was für die kindliche Entwicklung förderlich ist.

A: Wie lange sind die Patien*innen bei Ihnen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Das ist individuell unterschiedlich, man kann aber durchschnittlich von 12 Wochen sprechen. Es handelt sich um ein psychotherapeutisches Setting. Wir müssen die Familien erst einmal kennenlernen, die Kinder brauchen Zeit, um hier anzukommen. Und die Seele braucht Zeit und eine gewisse Ruhe, um Lösungen finden zu können und Veränderungen zu wagen.

A: Die Eltern und die Kinder wohnen während dieser Zeit in der Klinik?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Wir haben Appartements auf der Station, die in Eltern- und Kinderzimmer aufgeteilt sind und die den Familien während der Behandlung zur Verfügung stehen. Aktuell gibt es je fünf Behandlungsplätze. Wir planen aber eine Erweiterung und werden das Angebot für diese Altersgruppe verdoppeln und perspektivisch auch noch auf das Grundschulalter erweitern. 

A: Warum hat es sich bisher nicht durchgesetzt in den Kliniken, dass es sinnvoll sein kann, Familien gemeinsam zu behandeln? Wieso ist das noch nicht im Blick?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Es gibt schon einige Behandlungsangebote, aber es ist in der erwachsenenpsychiatrischen Tradition nicht automatisch so, dass die Kinder bei einer psychischen Erkrankung ihrer Eltern als Mitbetroffene wahrgenommen werden. Das hat sicher mit Kapazitäten und Rahmen-bedingungen zu tun, manchmal vielleicht auch mit fehlendem Wissen oder Vermeidung von Schmerz auch auf fachlicher Seite.  Mir geht es als Erwachsenenpsychiaterin inzwischen oft so, dass ich Patient*innen aus der Perspektive meines Fachbereiches für gut stabilisiert gehalten hätte, aber aus unserem Setting mit Blick auf die Interaktion mit den Kindern, sehe ich, dass sie noch überhaupt nicht „Familien-stabil“ sind.

 A: Ist die Systemtherapie nicht dafür schon ein etablierter Ansatz?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Es gibt natürlich sehr wertvolle systemtherapeutische Ansätze. Es gibt allerdings nicht so viele stationäre Angebote, bei denen zwei Fachabteilungen in dieser gleichberechtigten Form zusammenarbeiten. Bei uns ist das Konzept so, dass beide Seiten zusammen auf einer Station tätig sind und eng verknüpft arbeiten. Wir tauschen uns sehr regelmäßig in gemeinsamen Besprechungen aus, teilen unsere Perspektiven und müssen fachlich auch manchmal miteinander rangeln. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Erwachsenen-psychiater zum Beispiel angesichts einer depressiven Mutter sagt: „Die Patientin kann aber jetzt noch nicht, sie braucht noch Zeit.“ Und die Kinderpsychiaterin sagt dann: „Ja, aber die Mutter muss jetzt mal loslegen, das Kind hat die Zeit nun wirklich nicht mehr.“ Das müssen wir miteinander aushalten und ausbalancieren und dann mit den Familien bewegen, um einen stimmigen Weg zu finden.

A: Also sind beide gleichberechtigt, die Kinder- und die Erwachsenenperspektive? 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Ja, wir bemühen uns sehr um ein Gleichgewicht und ein Zusammenkommen beider Fachperspektiven. Dadurch ergibt sich ein „unterschiedlicher gemeinsamer Blick“, der für die Familien sehr hilfreich sein kann.

A: Sind die Kinder nicht automatisch betroffen, wenn die Eltern krank sind? Sie reagieren auf die Eltern …

Brit-Meike Fischer-Pinz: Nicht alle Kinder psychisch kranker Eltern werden krank, aber es gibt für sie statistisch schon ein erhöhtes Risiko, selber psychisch zu erkranken. Wir wissen, dass psychische Erkrankungen in Familien aus verschiedenen Gründen über Generationen wirken können. Und es ist uns ein Anliegen, diese intergenerationellen Fortwirkungen in den Blick zu nehmen und im besten Fall unterbrechen zu helfen.

„Wir erleben ganz oft, dass Mütter sich viel zu lange zusammenreißen und die ganze Last alleine tragen.“

A: Wie kann man diese transgenerationelle Weitergabe unterbrechen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Wir bemühen uns, mit den Familien Wege zu finden, das „Staffelholz“ soweit möglich nicht an die nächste Generation weiterzugeben. Das ist eine Formulierung, die ich auch Patient*innen gegenüber häufig benutze, gerade wenn es um schmerzhafte Erfahrungen mit den eigenen Eltern geht. Es meint den Versuch, die Erfahrungen und Gefühlsprägungen, die man mitbringt, reflektieren und vielleicht betrauern zu lernen, distanzierungsfähiger mit Wut und Anspannung umzugehen und Selbstmitgefühl zu entwickeln. All das kann helfen, die automatische Weitergabe von Gefühls- und Verhaltens-mustern zu unterbrechen.

A: Es geht dabei vor allem um Prävention, dass die Kinder nicht selbst psychische Krankheiten entwickeln?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Unsere stationären Patient*innen sind ja bereits erkrankt. Aber destruktive Interaktionsmuster zu durchbrechen und Ressourcen zu stärken hat natürlich auch einen präventiven Aspekt. Es geht sozusagen darum, die Weichen für diese Familien neu zu stellen. Da die Kinder hier noch klein sind, kann man oft noch sehr gut wirksam werden.

A: Es muss also bei beiden eine psychiatrische Diagnose vorliegen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Ja, genau. Aber sie muss nicht vorher schon gestellt sein. Es ist so, dass wir die Familien in zwei Vorgesprächen, einmal aus kinder- und einmal aus erwachsenenpsychiatrischer Sicht kennenlernen und dann gemeinsam schauen, ob beim Elternteil und dem Kind Diagnosen gestellt werden können, und ob wir für die Familie ein sinnvolles Behandlungsangebot machen können. Eine Erwachsenenbehandlung, zu der das Kind, zum Beispiel aus Versorgungsgründen, nur als Begleitperson mitgebracht werden soll, bieten wir in unserem Setting nicht bzw. ausschließlich im Fall eines zusätzlichen Geschwisterkindes an.

A: Welche Symptome kann denn ein Säugling haben, wenn er eine Diagnose bekommt? 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Die kinder-psychiatrischen Kolleg*innen sehen Babys, die Regulationsstörungen haben und zum Beispiel anhaltend schreien und kaum zu beruhigen sind. Auch kommen Fütterstörungen vor. Und es gibt tatsächlich auch schon im Säuglingsalter depressive Symptome. Wir erleben manchmal kleine Babys, die mimisch starr wirken, kaum auf Reize antworten und fast greisenhaft aussehen.

A: Gibt es noch etwas, was man tun könnte, um diesen Familien generell zu helfen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Es geht grundsätzlich darum, die betroffenen Kinder wahrzunehmen, ihnen Interesse entgegenzubringen, Raum für den Ausdruck ihrer Gefühle zu schaffen und ihnen sichere und verlässliche Bindungs-erfahrungen zu ermöglichen. Oft ist es auch hilfreich, Räume zu schaffen, in denen es Normalität gibt. Kinder wünschen sich ein „normales Leben“ mit Leichtigkeit, Lebensfreude und Humor. Und für die Familien geht es bei diesem Thema natürlich immer auch um die Stärkung von Ressourcen und um Entstigmatisierung und Enttabuisierung. 

A: Also würden sie auch dafür plädieren, dass die betroffenen Familien darüber sprechen, dass sie Probleme haben? 

Brit-Meike Fischer-Pinz: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind oft sehr verunsichert und beschämt, so dass sie nicht offen über die Symptome sprechen mögen und keine Hilfe in Anspruch nehmen. Wir erleben es sehr oft, dass gerade Mütter sich viel zu lange zusammenreißen, durchhalten und die ganze Last tragen, weil sie das Gefühl haben, funktionieren und es allein schaffen zu müssen. Das ist für die familiäre Atmosphäre sehr belastend. Für Kinder ist es dann hilfreich, wenn sie ihre Gefühle ausdrücken können und wenn ihnen jemand die Situation altersentsprechend erklärt. Dann können sie einordnen: Das hat nichts mit mir zu tun, meine Mama ist nicht wegen mir so traurig oder wütend, sie ist krank und bekommt jetzt Hilfe. Ich brauche dann aber andere, die sich auch um mich kümmern. Das kann sehr entlastend wirken. Dabei geht es gar nicht darum, die Kinder immer direkt in die Behandlung einzubeziehen. Wir erleben auch häufig Mütter, denen wir raten, sich erstmal allein in Therapie zu begeben. 

„Wir müssen verstehen, dass wir alle wichtige Beziehungs- und Bindungspartner sind. Wir sind alle in der Lage, dem Kind Halt und Zuversicht zu vermitteln.“ 

A: Wieso ist es wichtig, das Umfeld mit einzubeziehen?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Das familiäre Umfeld kann je nach Ressourcenlage natürlich auch sehr haltend, unterstützend und stabilisierend wirken.

Und auch im Helfersystem müssen wir verstehen, dass wir alle für die uns anvertrauten Kinder wichtige Beziehungspartner sind, die in ihrer jeweiligen Rolle – zum Beispiel als Lehrer*in oder Erzieher*in Halt, Sicherheit und Zuversicht vermitteln und Orientierung geben können. Das darf man nicht unterschätzen. Wenn man sich Biografien von Personen anschaut, die als Kind in so einer schwierigen Situation waren und das Leben trotzdem gut gemeistert haben, gibt es dort ganz häufig die Rückmeldung: Es gab ein oder zwei Personen, die waren da, haben mich gesehen und mir Halt gegeben. Das kann auch die Nachbarin gewesen sein.

A: Gibt es Ziele, was sich verbessern könnte in diesem Bereich?

Brit-Meike Fischer-Pinz: Es ist sehr schwierig, einen ambulanten psychiatrischen Termin zur Erstdiagnostik zu erhalten. In dem Bereich gibt es monatelange Wartezeiten. Für die emotionale und Hirnentwicklung eines Kleinkindes ist ein halbes Jahr aber wirklich ein wahnsinnig langer Zeitraum. Wir bräuchten also mehr Kapazitäten, um Eltern mit psychischen Erkrankungen schneller in Behandlung zu bringen und sie und ihre Familien damit zu entlasten.

Brit-Meike Fischer-Pinz

Fachärztin für Psychiatrie und -psychotherapie. Leitung des erwachsenenpsychiatrischen Teils der „Therapiestation für Kinder (0 bis 6 Jahre) und ihre Eltern“ in der Asklepios Klinik Harburg.

Verweise

Therapiestation für Kinder (0-6 Jahre) und ihre Eltern

Asklepios Klinikum Harburg
Eißendorfer Pferdeweg 52, 21075 Hamburg, Haus 4
Tel: (040)-18 18 86 - 56 96 (Station)  Terminvereinbarung von Vorgesprächen:  Tel: (040)-18 18 86 - 2627 (Sekretariat)

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