Beim Kinderschutz geht es um Haltung

Kinderschutzkoordinator Torsten Dobbeck bezieht die ganze Familie ein

Interview mit Torsten Dobbeck

Torsten Dobbeck ist Kinderschutzkoordinator im Bezirk Hamburg-Mitte. Er erklärt, was seine Aufgaben als Kinderschutzkoordinator sind. 

A: Herr Dobbeck, Sie sind Kinderschutzkoordinator im Bezirk Hamburg-Mitte. Was genau ist Ihre Aufgabe? 

Torsten Dobbeck: Hierzu möchte ich zunächst etwas über die Rolle des Kinderschutzkoordinators erzählen und wie diese Stelle entstanden ist. 2005 wurde im Rahmen des Maßnahmenpakets „Hamburg schützt seine Kinder“ die Stellen der Kinderschutzkoordinator*innen geschaffen. Anfänglich war die Bezeichnung „Taskforce Kinderschutz“. Dies war eine Reaktion der Stadt auf einen tragisch verlaufenden Kinderschutzfall, denn es war ein schulpflichtiges Kind zu Tode gekommen. Bei der Aufarbeitung dieses Falls kam man zu dem Schluss, dass die Schnittstellen Jugendhilfe und Schulsystem nicht ausreichend gut funktioniert haben. Hier brauchte es neue Regelungen sowie Kooperationsabsprachen. Dies war dann vor allem die Aufgabe der neuen Kolleg*innen, die damals in der neuen Position starteten. Mittlerweile hat sich das natürlich weiter entwickelt.

A: Wie hat sich die Position weiterentwickelt?

Torsten Dobbeck: Ein Großteil meiner Aufgabe ist es, mit Kooperationspartner*innen zu sprechen und diese Schnittstellen zu bearbeiten. Damit sind u. a. Kooperationspartner*innen aus der Justiz, Familiengerichten, der Staatsanwaltschaft, der Polizei sowie aus Schulen und Kitas gemeint – also all die Menschen und Systeme, die regelmäßig im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen sind und Entscheidungen für sie treffen.

Ein anderer Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Beratung. Dies geschieht nicht nur in krisenhaft verlaufenden Kinderschutzfällen, ich biete auch Beratung für Kolleginnen und Kollegen aus dem Jugendamt an, die z. B. an einem komplexen Fall arbeiten. Außerdem berate ich Kitas und Schulen sowie die Schnittstellenbereiche. Dabei habe ich jedoch keine Fallverantwortung, also keine Zuständigkeiten für Fälle. Meine Kolleg*innen und ich sind auch dann beteiligt, wenn es z. B. um die Überarbeitung und Prüfung von Arbeitsrichtlinien, Verfahrensweisen oder Qualitätsprozessen geht.

A: Worum geht es beim Kinderschutz?

Torsten Dobbeck: Beim Kinderschutz geht es um Haltung. In Hamburg haben wir die Besonderheit, dass sich die Politik und die Medien sehr für die Weiterentwicklung des Jugendhilfesystems interessieren. Hier spreche ich vor allem die Enquete-Kommission an, die es in Hamburg gab und die einen Blick auf die Strukturen der Hamburger Jugendhilfe geworfen hat. Der Blick fiel ebenso auf Schnittstellenpartner*innen, die Arbeitsweise der Familiengerichte und auf die Rechte von Kindern in Hamburg. Darüber hinaus wurden die fünf Kernempfehlungen formuliert: Kinderrechte stärken, Pflegefamilien - das Kind in den Mittelpunkt, qualifizierte professionelle Arbeit der Fachkräfte ermöglichen, für Arbeitsfähigkeit und Zusammenarbeit der Organisationen sorgen und Anerkennung der Zivilgesellschaft einfordern. In den Empfehlungen sind viele wichtige Haltungsfragen erörtert und aufgegriffen worden. „Wie beteiligen wir überhaupt Kinder und Jugendliche im Kinderschutz sowie ihre Eltern?“ Dies war z. B. eine der Fragen. Meiner Meinung nach, ist das die große Herausforderung für die Hamburger Jugendhilfe. Das funktioniert im Einzelfall zwar schon ganz gut, aber wenn wir strukturell darauf schauen, können wir uns noch verbessern. Der Kinderschutz sieht vor, dass die Beteiligten angemessen Gehör finden und einbezogen werden. Um dies zu verstärken, gibt es zum einen die Empfehlung der Enquete-Kommission und zum anderen die aktuellen Gesetzesänderungen. Auch hier steckt der Beteiligungsgedanke drin, aber auch der Prozess der Gefährdungsabschätzung. Bei letzterem Punkt sollte man überlegen, wie es gelingt, die direkten Beteiligten und die Profis einzubeziehen. Gerade mit den Veränderungen, die es im § 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) im SGB VIII sowie im § 4 (Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung) im Bundeskinderschutzgesetz gab, ist die Hamburger Jugendhilfe aufgefordert, sich zu beschäftigen. 

A: Wo begegnet Ihnen bei Ihrer Arbeit das Thema “Kinder von psychisch erkrankten Eltern“?

Torsten Dobbeck: Das Thema begegnet uns auf unterschiedlichen Ebenen. In der Regel sind wir darauf angewiesen, dass wir aus dem Umfeld von Familien Hinweise darauf bekommen, dass es Schwierigkeiten gibt. Die häufigste Melder*innengruppe, die Hinweise auf eine psychische Erkrankung bei den Eltern geben, sind aus dem Schulsystem und dem Elementarbereich. Das sind z. B. Meldungen, in denen es um Kinder geht, die sich im Schulalltag nicht konzentrieren können, nicht gut versorgt in der Schule erscheinen oder Verhaltensauffälligkeiten aufweisen. Über diesen Weg kommen wir in den direkten Kontakt. Im Austausch mit den Eltern und den Kindern kann sich dann ergeben, dass die Ursache für diese Auffälligkeiten eine psychische Erkrankung eines Elternteils ist.
Aus einer Präsentation einer Ihrer A: aufklaren Kolleginnen habe ich neulich die Zahl aufgegriffen, dass es in Deutschland 3,8 Millionen Kinder gibt, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil zusammenleben. So kann man ungefähr ein Gefühl dafür bekommen, wie häufig auch das Jugendamt mit dem Thema konfrontiert ist. Damit will ich nicht sagen, dass diese Fälle automatisch beim Jugendamt landen, aber dass es diese Belastungsfaktoren in einer solchen Häufigkeit gibt. Diese Belastungen führen dann manchmal dazu, dass Familien Hilfe brauchen.

 Ein gutes Schutzkonzept zeichnet sich dadurch aus, dass es mit den Beteiligten erstellt wird und auch deren Sichtweisen aufgreift.

A: Was heißt Kindeswohlgefährdung im Kontext psychischer Erkrankungen?

Torsten Dobbeck: Kindeswohlgefährdungen kommen bei meiner Arbeit durchaus vor, wenn Eltern psychisch erkrankt sind, doch ist das die Spitze des Eisbergs. Psychische Erkrankungen können sich ganz unterschiedlich darstellen. So sind auch die Belastungen sehr verschieden, die auf die Kinder zukommen. Es kann Situationen geben, die temporär sind, aber auch die, die lang anhalten. Hier sind Sorgeberechtigte dann nicht in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern, da sie sich aufgrund ihrer persönlichen Lage nicht auf die Bedürfnisse ihrer Kinder konzentrieren können. Dann kann es zu stationären Unterbringungen oder aber auch Sorgerechtsentzügen durch das Familiengericht kommen. Das kommt tatsächlich aber nur in Einzelfällen vor. In der Regel geht es darum, Hilfsangebote zu unterbreiteten, die Eltern zu entlasten, Angebote für Kinder zu suchen und sie in schwierigen Situationen zu begleiten.

A: Wie geht der ASD bei einer Gefährdungseinschätzung vor? 

Torsten Dobbeck: Hier gibt es das sogenannte Schutzkonzept. Auch hier spielt die Beteiligung eine erhebliche Rolle. Ein gutes Schutzkonzept zeichnet sich dadurch aus, dass es mit den Beteiligten erstellt wird und auch deren Sichtweisen aufgreift. Die Erwartungen des Jugendamts an die Familie sowie das Bewusstmachen der Problemlage sollten dabei für alle deutlich sein. Es sollte also ein gemeinsames Problemverständnis erzeugt werden. 

Das könnte z. B. so aussehen, dass sich eine Mutter aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in einer erheblichen Belastungsphase befindet. Innerhalb eines Schutzkonzeptes könnte man vereinbaren, dass sie sich Entlastung sucht. Das kann therapeutische Entlastung sein oder auch ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik. Für das betroffene Kind könnte man ebenfalls Maßnahmen vereinbaren. Wie z. B. die Teilnahme an einer sozialen Gruppe oder an einem spezifischen Angebot für Kinder psychisch kranker Eltern. All das erarbeiten Familie und Jugendamt gemeinsam und dokumentieren dieses in einem Schutzkonzept. Darin wird auch festgehalten, wer welche Aufgaben übernimmt, wer Dinge wieder auf die Tagesordnung ruft und ob Absprachen eingehalten wurden. Man kann also sagen, dass ein Schutzkonzept auch dazu dient, Krisen zu bewältigen und zu überstehen.

A: Mit wem sitzen Sie gemeinsam am Tisch, wenn Sie diese Hilfen entwickeln?

Torsten Dobbeck: Das kommt ganz auf den Einzelfall an. Im besten Fall sitzen wir jedoch mit all den Menschen zusammen, die im Umfeld des Kindes wichtig sind. Hierzu laden wir dann ganz individuell die Schule ein, Großeltern, Nachbar*innen, Betreuer*innen oder verschiedene Familienmitglieder. Der geladene Personenkreis hängt maßgeblich davon ab, wen die Eltern als unterstützend ansehen. Sie sind ganz zentral bei diesem Prozess und können daher sagen, wen sie involvieren wollen und wen nicht. Denn das ist natürlich ein Thema, das für viele Menschen zunächst sehr unangenehm sein kann.

A: Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Entwicklung von Hilfen?

Torsten Dobbeck: Verlässlichkeit ist das Stichwort, aber auch Beziehungsaufbau. Auch wenn das von extern als sozialpädagogische Kompetenz oft belächelt wird, ist das Alltag der Hilfen. So ist es eine enorm wichtige Aufgabe des Helfersystems, gerade bei dem Risikofaktor der psychischen Erkrankung verlässliche Beziehungen aufzubauen, Vertrauen zu entwickeln, zu begleiten und Ängste zu nehmen. Das ist tatsächlich etwas, was eine sehr große Herausforderung darstellt und damit ein Kriterium für gelingende Hilfen. Man könnte in dem Zuge auch darüber nachdenken, ob Kinder und Jugendliche einen klassischen Erziehungsbeistand erhalten, also eine*n Ansprechpartner*in, der für sie da ist. Weiter ausbauen könnte man ebenso das Unterstützungssystem in Bezug auf die besonderen Belastungen von Kindern psychisch erkrankte Eltern. Hier gibt es zwar schon vereinzelt Angebote, aber noch nicht genug.

A: Welche Hilfen bietet das Jugendamt an?

Torsten Dobbeck: In Hamburg gibt es aktuell eine Entwicklung, die darauf zielt, die Sozialräume besser mit Hilfen auszustatten. Dabei sollen im Sozialraum niedrigschwellige Angebote offeriert werden, die nicht der formalen Antragstellung bedürfen. Es handelt sich um Hilfen, die sich Eltern selbst holen können. Das hebelt natürlich nicht die Hilfen aus, die es immer gab und weiterhin geben wird. Dazu zählen beispielsweise die Hilfen zur Erziehung mit ihren sozialpädagogischen Familienhilfen oder auch Erziehungsbeistandschaften als Hilfen für Kinder und Jugendliche.

„Es braucht außerdem Verlässlichkeit sowie die Haltung, diese Menschen gut begleiten und unterstützen zu wollen.“

A: Was glauben Sie, was es für Kinder von psychisch erkrankten Eltern in Zukunft in Hamburg braucht?

Torsten Dobbeck: Ich glaube, es braucht einen Ausbau der Hilfen und noch mehr Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die in einem Haushalt leben, wo psychische Erkrankungen eine Rolle spielen. Es braucht außerdem Verlässlichkeit sowie die Haltung, diese Menschen gut begleiten und unterstützen zu wollen. 

Ebenso ist eine bessere oder auch andere Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Erwachsenenpsychiatrie wichtig. Dabei gilt es den Drehtüreffekt zu verhindern. Also, wenn Kinder und Jugendliche in der Psychiatrie aufgenommen, dann entlassen werden, wieder in die Zuständigkeit der Jugendhilfe fallen, bis sie wieder an einem Punkt sind, an dem sie psychiatrische Entlastung brauchen. Da bedarf es besserer Kooperationen und besserer Netzwerkstrukturen, für die A: aufklaren ja auch steht. Das sind aktuelle Herausforderungen, die wir haben. Dazu gibt es allerdings auch schon unterschiedliche Ansätze und Arbeitsgruppen. Dennoch kann die Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe noch besser im Sinne der Betroffenen ausgestaltet werden.

 

Dieses Interview führte Christiane Rose

Torsten Dobbeck

ist Kinderschutzkoordinator im Bezirk Hamburg-Mitte.

Hinweis

Torsten Dobbeck
Kinderschutzkoordinator
Bezirksamt Hamburg-Mitte
Fachamt Jugend- und Familienhilfe
Caffamacherreihe 1–3 | 20355 Hamburg
Tel.: 040 42854-3540
E-Mail: torsten.dobbeck@hamburg-mitte.hamburg.de

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