„Anfangs dachte ich mir noch: Das geht vorbei!“
Von der langen Suche nach der stimmigen Diagnose und der Sorge, sich alles einzubilden
Gastbeitrag von Katrin Wersing
Auf der Arbeit, die ich eigentlich immer gerne machte, wurde alles anstrengender. Mit meinen Kindern wurde ich ungeduldiger und gereizter im Umgang mit meinen Mitmenschen. Wer kennt das nicht? Einfach mal eine schwierige Phase… das geht sicher bald vorüber.
Aber sie ging nicht vorüber, sondern ca. 3 Jahre nach den ersten Symptomen hatte ich auf einmal eine starke Übelkeit, die mich fest im Griff hatte. Wer langanhaltende Übelkeit kennt, der weiß, wie sehr diese den ganzen Tag überschattet. Alles wurde immer schwerer, ich versuchte mich zusammen zu reißen, war viel bei meinem Hausarzt, Magen- und Darmspiegelung, Neurologe, MRT aber nichts war zu finden. „Ihre Blutwerte sind bestens“ sagte mir mein Hausarzt immer wieder und ich wünschte mir schließlich, dass irgendwas gefunden wird, dass mir irgendjemand glaubt. Ich hab mir am Ende selbst nicht mehr geglaubt. „Was ist denn los bei Ihnen? Wünschen Sie sich einen anderen Mann oder andere Kinder?“ fragte mich mein Hausarzt einmal mehr und er war tatsächlich gründlich in seinen Untersuchungen gewesen, hatte auch entfernte Möglichkeiten, wie Borreliose oder eine EBV-Infektion abgeklärt. Ich verstand mich ja selbst nicht mehr, am Ende konnte ich nicht mehr arbeiten und mein Hausarzt traute sich endlich nach langem Zögern auszusprechen, dass ich nach seiner Meinung eine Depression hätte.
„Was ist denn los bei Ihnen? Wünschen Sie sich einen anderen Mann oder andere Kinder?“
Depression? Ich? Weder weinte ich den ganzen Tag, noch hatte ich aus meiner Sicht ein Trauma oder größeres Problem was eine Depression gerechtfertigt hätte. Ich hatte sogar eine wirklich schöne Kindheit und eine liebevolle Familie. Aber mein Hausarzt hatte recht, ich hatte eine Depression und mit dieser schleppte ich mich drei Monate lang durch den trüben Winter 2017. Meine Psychotherapeutin bescheinigte mir eine atypische Depression, weil sie nicht so recht ins Bild passte. Nicht mal eine „normale“ Depression brachte ich also zustande.
Weiter blieb ich hartnäckig auf der Suche nach den Gründen, las viel im Internet und in Foren, weil ich immer irgendwie das Gefühl hatte, dass diese Diagnose nicht wirklich zu mir und meiner Problemlage passte. Antidepressiva, die ich widerwillig ausprobierte verschlimmerten meine Symptome, weshalb ich sie schnell wieder absetzte.
„Aber mein Hausarzt hatte recht, ich hatte eine Depression und mit dieser schleppte ich mich drei Monate lang durch den trüben Winter 2017.”
Schließlich brachte mir eine Hormontherapie bei einer Privatärztin eine deutliche Linderung und gemeinsam mit einer psychosomatischen Reha kam ich langsam wieder auf die Beine. Aber trotzdem sich meine psychische Situation einigermaßen stabilisierte, kamen immer wieder neue Symptome dazu, wie plötzlicher Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, ein deutlich abnehmender Geruchs- und Geschmackssinn. Ich war zunehmend verzweifelt und hatte das Gefühl, bald stationär in eine Psychiatrie zu müssen, weil ich glaubte verrückt zu werden und mir all das einzubilden. Heute weiß ich: Wir bilden uns NICHTS ein. Die Signale, die unser Körper uns in welcher Lebenslage auch immer sendet, sind real und beruhen auf individuellen Tatsachen. Nur weil man Schmerzen oder Übelkeit nicht medizinisch objektiv nachweisen kann, wie z.B. einen Beinbruch im Röntgenbild, bedeutet es nicht, dass sie nicht real sind.
„Das ist es – fast alle der beschriebenen Symptome aus den Infobroschüren habe ich in den letzten Jahren erlebt.”
Im Januar 2019 wurde mein rechter Arm zunehmend steifer und ermüdetete schnell. Im Mai ging ich nochmal zum Hausarzt, der mich besorgt zum Neurologen schickte. Dieser untersuchte mich lange und gründlich und ließ mich 6 Wochen später nochmal kommen, weil er mir „nichts Falsches sagen wollte“. Ich dachte nur, er traut sich nicht mir zu sagen, dass auch das wieder psychosomatisch ist. Die Diagnose Parkinson traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte doch gar kein Zittern? Wie sollte ich denn Parkinson haben, mit 40 Jahren? Aber der Verdacht wurde schnell zur Gewissheit und noch vor der klärenden Bildgebung war mir bereits klar: Das ist es – fast alle der beschriebenen Symptome aus den Infobroschüren habe ich in den letzten Jahren erlebt. Wie oft hatte ich das Gefühl, mir selbst fremd zu werden: Die Ängste, die depressiven Phasen, diese alles umfassende Müdigkeit, die unklaren Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, ja sogar das Nachlassen meines Geruchssinns – alles passte zusammen, wie ein Puzzle, bei dem jahrelang hartnäckig wichtige Teile fehlten.
Parkinson ist unheilbar und fortschreitend. Aktuell gibt es nichts was den voranschreitenden Verlust von dopamin-produzierenden Nervenzellen im Gehirn stoppen kann. Was ich über die Krankheit sah und las erschreckte mich zutiefst. Aber ich hatte auch endlich das Gefühl, irgendwo hin zu gehören, in irgendein Schema zu passen, endlich Verständnis und Hilfe zu bekommen, denn zumindest lassen sich einige der Symptome behandeln. Heute lerne ich wieder meinem Körper zu vertrauen und ihn anzuerkennen für all das, was er in den letzten Jahren trotz aller krankheitsbedingter Einschränkungen für mich geleistet hat und immer noch leistet.
„Aber ich hatte auch endlich das Gefühl, irgendwo hin zu gehören, in irgendein Schema zu passen…“
Seit inzwischen zwei Jahren habe ich einen Podcast, in dem ich mit Betroffenen und Angehörigen spreche, die einen positiven Umgang mit Parkinson gefunden haben. Diese Gespräche geben mir und auch anderen viel Kraft und Zuversicht. Und trotz der vermeintlich düsteren Parkinsonprognose ist mir klar: NIEMAND kann mir sagen, wie mein Leben in Zukunft sein wird, auch keine noch so erfahrene Fachperson. Und solange meine Zukunft noch nicht geschrieben ist – liegt sie zuallererst in MEINER Hand. Ich wünsche allen Leser:innen das Vertrauen in den eigenen Körper und in die eigene Urteilskraft zu behalten – egal welche Lebenskrise gerade um uns herum stürmt. Und vor allem wünsche ich allen den Mut, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir müssen uns nur – jeden Tag wieder neu – dafür entscheiden.
Kathrin Wersing ist Jahrgang 1979. Die Diagnose Parkinson erhielt sie im Alter von 40 Jahren. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt mit ihrer Familie in Münster. 2020 startete sie den Podcast „Jetzt erst recht – Positiv leben mit Parkinson“, in dem sie mit inspirierenden Menschen spricht, die auf ihre jeweils ganz eigene Art einen guten Umgang mit der Krankheit gefunden haben. Weitere Infos dazu unter www.jetzt-erst-recht.info